Landeszeitung Lüneburg: Macht euch zum Untertan der Erde
Dr. Rainer Hagencord, Priester und Zoologe: Öko-Enzyklika des Papstes revolutioniert die Haltung zur Natur
Lüneburg (ots)
In seiner ersten allein verfassten Enzyklika "Laudato si" fordert Papst Franziskus einen gewissenhafteren Umgang mit der Natur. Seine Ausführungen sorgen innerhalb der katholischen Kirche für Kontroversen. Dr. Andreas Hagencord hingegen lobt den "revolutionären und überzeugenden" Vorstoß. Dr. Hagencord ist katholischer Priester und Zoologe, er leitet das "Institut für Theologische Zoologie" in Münster. Er sagt: "Die Abkehr von der Haltung, sich die Erde untertan zu machen, ermutigt Umweltschützer."
Ist der Papst in Sachen Klimaschutz mittlerweile das konsequenteste Staatsoberhaupt?
Dr. Rainer Hagencord: Als Autor der Enzyklika "Laudato Si" ist der Papst nicht als Staatsoberhaupt unterwegs, sondern als jemand, der sich fragt, wie kann sich eine Theologie - und damit eine Kirche - gegenüber der ökologischen und sozialen Katastrophe verhalten. Welche Theologie ist angemessen, dem zu begegnen? Aber tatsächlich hat der Papst als Staatsmann eine besondere Rolle, weil er das Privileg hat, nicht mit wirtschaftlichen Lobbys verknüpft zu sein. Er kann sich anders als andere Staatsoberhäupter sehr viel unabhängiger äußern. Das macht die Öko-Enzyklika sehr überzeugend.
Wo verbanden sich Erkenntnisse der Forschung mit der christlichen Lehre?
Dr. Hagencord: Was dem Papst gelang, war, Fachleute aus der Wirtschaft und der Klimaforschung vorab ins Boot zu holen. Er nutzt neueste wissenschaftliche Erkenntnisse, um von ihrem Boden einen Blick auf die Schöpfung zu wagen. Das ist spektakulär, haben wir uns doch an kirchliiche Verlautbarungen gewöhnt, die von Gott sprechen, ohne Bezug zu nehmen auf die Wissenschaften. Dies mit dem Anspruch, eine Wahrheit verkünden zu können, die davon unabhängig ist. Der Papst macht das Gegenteil: Er redet von der Schöpfung, was der ureigenste Auftrag der Kirche ist, nicht ohne diese Erkenntnisse hinzuzuziehen. Das ist revolutionär, vergleicht man es mit der Art, wie die Kirche etwa über Sexualität redet. Dort spielen Erkenntnisse der Humanwissenschaften keine Rolle. Die Kirche maßt sich an, ohne dieses Wissen darüber zu urteilen, was menschlich ist und was nicht. Als Vatikan-Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin die Zustimmung der Iren zur Homo-Ehe als "Niederlage für die Menschheit" bezeichnet hat, war dies tatsächlich eine Niederlage für die Kirche. Desweiteren geht der Papst mit seiner Enzyklika auf der Spur des Zweiten Vatikanischen Konzils voran, das die katholische Kirche schon vor 50 Jahren gegenüber der Welt öffnete und forderte, die Sorgen und Nöte der Menschen ernst zu nehmen.
Franziskus zitiert in seiner Enzyklika Amtsvorgänger und Bischofskonferenzen. Steht er in einer päpstlichten Tradition oder bricht er mit ihr?
Dr. Hagencord: Er schafft es, eine Tradition herauszulesen. Tatsächlich hat bereits Paul VI. in der Enzyklika Populorum progressio das Elend der Menschen und der Natur in den Blick genommen und die Kirche zur Solidarität aufgerufen. Benedikt XVI. hat im Bundestag von der "Würde der Erde" gesprochen. Mit Bezug auf diese Quellen schafft Franziskus eine Kontinuität. Andere Passagen lesen sich dagegen eher revolutionär. So ist die Absage an die Anthropozentrik etwas Neues. Der Papst bestreitet, dass wir die Krone der Schöpfung seien, dass die Erde für uns da sei. Er verlangt im Gegenteil eine Haltung der Mitgeschöpflichkeit. Ebenso revolutionär ist seine Absage an den Leib-Seele-Dualismus, der die herkömmliche Theologie in die Haltung führte, nur der Mensch habe eine unsterbliche Seele. Nach Franziskus verdunkele diese Haltung sogar das Bild Jesu. Er bricht mit einer Theologie, für die Tiere letztlich nur noch Sachen waren.
Ist die Abkehr vom alttestamentarischen "Macht Euch die Erde untertan" vorbildlich für die Regierungschefs, denen trotz vieler Klimakonferenzen der ultimative Wurf nicht gelingt?
Dr. Hagencord: Es müsste zumindest den Politikern aus christlichen Parteien zu denken geben, dass der Papst sich nun auf die Seite der Umweltschützer stellt, die die Ideologie einer Ausbeutung der Natur als Fehlinterpretation der biblischen Botschaft geißeln. Würde dies umgemünzt in politische Programme, hätte dies Folgen für die drei Welten, von denen der Philosoph Klaus Michael Meyer-Abich schrieb: die Nachwelt; die natürliche Mitwelt und die sogenannte Dritte Welt. Bisher sind diese drei Welten noch Opfer der christlich geprägten, westlichen Welt, die aus der Bibel die Annahme ableitete, die Erde sei für sie da.
Die Enzyklika unterstreicht im Kern, wie sehr die soziale Frage von der Bewahrung der Umwelt abhängig ist. Kann der Vorschlag einer "integralen Ökologie" auch wegweisend für Politiker sein?
Dr. Hagencord: Obwohl die meisten Politiker einer Gleichrangigkeit von Ökonomie und Ökologie das Wort reden, wird die Ökologie letztendlich stiefmütterlich behandelt. Dem setzt der Papst eine Theologie mit dem Gesicht zur Mehr-als-menschlichen-Welt entgegen. Und dies, nachdem der christliche Westen über 500 Jahre eine Theologie zementiert hat, die der nicht-menschlichen Welt den Rücken zugekehrt hatte. Der Papst will die Haltung des Respektes und der Mit-Geschöpflichkeit in den Mittelpunkt unseres Denkens rücken.
Spiegeln sich in der Tatsache, dass dies offenbar Mittelpunkt seines Denkens ist, auch die argentinischen Wurzeln des Papstes wider? Vor allem in seiner Aufmerksamkeit für die Ärmsten, die auch die Verlierer des Klimawandels sein werden.
Dr. Hagencord: Mit Sicherheit, wobei sich in der Enzyklika mehrere biografische Spuren zeigen. Der Papst ist einer der letzten Vertreter der Befreiungstheologie, die von seinen beiden Vorgängern in Lateinamerika verboten worden war. In den 80er-Jahren war die Befreiungstheologie in Lateinamerika eine sehr laute Stimme auf Seiten der Armen. Heute verknüpft Franziskus sein Eintreten für die Armen mit einem für die Mitwelt. Eine zweite Spur charakterisiert diese Enzyklika: die jesuitische. Denn Jesuiten verleugnen die Erkenntnisse der Wissenschaft nicht, sondern berücksichtigen sie. Jesuiten predigen einen Glauben, der auch zuhört und nicht immer schon alles besser weiß. Die dritte Spur ist, dass sich der Papst als Mann des Konzils versteht, also die Sorgen der Menschen ernst nimmt.
Der Papst weist dem Konsum in den Ländern des Nordens die Verantwortung für das Leid im Süden zu. Wird das der Lage mit energiehungrigen Schwellenstaaten wie Indien und China noch gerecht?
Dr. Hagencord: Das ist eine schwierige Frage, zumal diese Länder in ihrem Drang nach Wachstum ohne Grenzen vom westlichen Denken geimpft wurden. Ältere Traditionen werden so zugeschüttet: So ernähren sich in Indien Millionen Hindus seit jeher vegetarisch in dem Versuch, im Einklang mit der Natur zu leben. In China schreitet die "McDonaldisierung" des Lebens voran, weil viele glauben, der Verzehr von Fleisch, das Tiere aus Massentierhaltung liefern mussten, gehöre zu einem gehobenen Lebensstil. Also werden auch in diesen Schwellenländern die Folgen westlichen Denkens deutlich.
Kann einer Forderung nach einer "Rezession in gewissen Teilen der Welt" Erfolg beschieden sein, wenn man sieht, wie hartnäckig mögliche Wachstumsdämpfer wie Griechenland-Soli oder Kohleabgabe bekämpft werden?
Dr. Hagencord: Das sind Punkte, in denen die klar formulierte Parteinahme des Papstes auf die reale Welt trifft. Der Papst hat es in seiner Enzyklika geschafft, sich nicht als Fachmann aufzuspielen, der den Politiker konkrete Handlungsanweisungen gibt. Vielmehr wirft er seine Autorität in die Waagschale, um damit christliche Politiker erst mal auf den Weg zu schicken. Ich verstehe den Papst auch nicht als Optimisten, sondern als jemanden, der eine Hoffnung hat. In diesem Punkt liefert er ein großes Vorbild.
Der Papst benützt Ergebnisse wissenschaftlicher Studien zum Klimawandel, kanonisiert sie quasi. Vermag er so auch Klimawandelskeptikern - gerade in den USA - Vorbild sein?
Dr. Hagencord: Ich fürchte, nein, weil sich schon jetzt in diesen Kreisen enormer Widerstand gegen diese Enzyklika aufbaut. Indem der Papst kapitalismusnahen Theologien Denkfiguren genommen hat, die für ihr Weltbild grundlegend sind, wie den Anthropozentrismus und das dualistische Denken, wonach nur der Mensch eine unsterbliche Seele hat, entzieht er ihnen die theologische Legitimation für ihr bisheriges Wirken. Hier wendet sich der Papst erneut ab von einer hermetischen Theologie, die nur um sich selbst kreist.
Ist der Grundton der Enzyklika deutlich pessimistischer als man es von einem Christenmenschen erwarten würde?
Dr. Hagencord: Im Gegenteil. Franziskus zeigt eine Haltung, die sich von dem, was in der Welt passiert, nicht lähmen lässt, die nicht zynisch wird. Ausweislich seiner Enzyklika nimmt der Papst die ökologische Bedrohung der Welt wahr und folgert: Eine andere Haltung zur Natur liegt nahe. Damit spricht er auch ganz tiefe Sehnsüchte der Menschen an, macht ihre Hoffnung stark. Dass er nichts ausspart und nichts schönredet, stärkt eine Hoffnung, die uns leben lässt. All denen, die schon bisher nicht verzagten, die sich für die Belange der Natur engagierten, macht dieser Mann enorm Mut.
Das Interview führte Joachim Zießler
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