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Landeszeitung Lüneburg: "Wenn Krieg und Frieden verschmelzen" - Konfliktforscher Professor Dr. Michael Brzoska blickt ins Jahr 2036: Militärische Mittel werden immer häufiger verknüpft

Lüneburg (ots)

Während Deutschland darüber diskutiert, ob sich auch der einzelne Bürger auf mögliche Krisen vorbereiten sollte, schmieden Militärs Strategien für die Kriege der Zukunft. "Keine einfache Aufgabe", sagt der Hamburger Friedens- und Konfliktforscher Prof. Dr. Michael Brzoska, "in Zukunft reicht das Spektrum von eher polizeilichen Stabilisierungseinsätzen bis zu Kriegen mit nahezu autonom agierenden Kampfrobotern."

Blick in das Jahr 2036: Auf welche Art des Krieges sollte sich das Militär vorbereiten? Prof. Dr. Michael Brzoska: Das ist schwer zu sagen, weil gegenläufige Trends erkennbar sind. Zum einen häufen sich Konflikte mit eher geringem militärischen Aufwand, in denen aber auch parallel zivile Mittel wie etwa Propaganda und wirtschaftliche Druckmittel eine große Rolle spielen. Im Ergebnis wird die Abgrenzung zwischen Krieg und Frieden zunehmend schwieriger. Gleichzeitig ist auf globaler Ebene aber eine Verschlechterung des Verhältnisses zwischen Staaten festzustellen. Man kann daher kriegerische Konflikte zwischen Staaten nicht mehr ausschließen. In Europa liegt hier das größte Risiko im Verhältnis von Russland und dem Westen. Ich halte das zwar bis in das Jahr 2036 für nicht sehr wahrscheinlich, aber eben auch nicht für ausschließbar. Das heißt, das Spektrum der Szenarien, auf die sich Militärs vorbereiten müssen, ist extrem breit. Von eher polizeilichen Aktivitäten bis hin zu einem High-Tech-Krieg.

Werden Kriege zwischen Staaten und nicht staatlichen Akteuren, wie Widerstandsgruppen, Terrornetzwerken und kriminellen Clans, häufiger als solche zwischen Staaten? Prof. Brzoska: Sicherlich. Bereits in den vergangenen 10 bis 15 Jahren gab es im Schnitt höchstens einen zwischenstaatlichen Krieg pro Jahr, aber eine Zunahme der internationalisierten, innerstaatlichen Kriege. Also etwa Bürgerkriege, in die externe Akteure eingreifen. Das waren in der jüngeren Vergangenheit vor allem westliche Staaten. Aber in Syrien und der Ukraine ist zu sehen, dass auch Russland sich vor Interventionen nicht scheut. Bisher kam es noch nicht zu direkten Konflikten zwischen Interventionsstreitkräften, etwa russischen und amerikanischen Soldaten in Syrien. Auszuschließen ist es aber nicht.

Ist die russische Intervention in der Ostukraine der Prototyp einer hybriden Kriegsführung, bei der konventionelle und unkonventionelle Kämpfer, Gewalt und Desinformation miteinander verflochten sind? Prof. Brzoska: Nein, derartige Kriegsführung gab es schon vorher. Allerdings hat Russland vor allem die Taktik der verdeckten Operation in der Ukraine auf die Spitze getrieben. Bis heute bestreitet der Kreml, dass er im Nachbarland involviert ist. Die Verknüpfung ziviler und militärischer Mittel selbst ist kein Novum, denkt man etwa an Sanktionen, die der Westen fast standardmäßig etwa in Bürgerkriegen auch gegen nicht-staatliche Akteure verhängt hat. Der Ukraine-Konflikt bezieht seine besondere Brisanz aus dem Ost-West-Gegensatz, der mit ihm - im Gegensatz zum Afghanistan- oder Irak-Krieg - verbunden ist. Das Eskalationspotenzial ist ungleich höher, wie wir etwa beim Abschuss des Passagierflugzeugs von Flug MH 17 gesehen haben.

Ist die Zuspitzung der russischen Strategie eine Antwort auf die drückende Überlegenheit der USA nach dem Zerbrechen der Sowjetunion? Prof. Brzoska: In langfristiger Perspektive kann man das so sehen. Aber es gab Zwischenschritte: So ist Russland die Erweiterung der NATO ein Dorn im Auge. Sie rückte den russischen Grenzen nicht nur näher, sondern wurde auch noch stärker. In der Folge wurde das atlantische Bündnis zum Gegner erklärt. Moskau versucht, eine Erweiterungsrunde um Georgien und die Ukraine zu unterbinden. Moskaus Ängste wurden dadurch geschürt, dass die Bereitschaft des Westens zu Kompensationsgeschäften sank. Parallel zur ersten NATO-Erweiterung wurde der NATO-Russland-Rat eingerichtet. Zur zweiten wurde zumindest noch verbal beruhigt. Aber 2008, als die Georgien-Entscheidung anstand, hieß es insbesondere in den USA nur noch, es sei das Recht eines jeden Staates, in die NATO einzutreten.

Wie wird die zunehmende Rivalität zwischen den USA und China sowie der Aufstieg weiterer Großmächte die Rolle der UNO als friedenswahrendes Element verändern? Prof. Brzoska: In den vergangen zwei, drei Jahren verzeichneten wir bereits eine nahezu totale Blockade der Vereinten Nationen in wichtigen Fragen. Verhältnisse, wie wir sie aus dem Kalten Krieg kennen. Zwar gibt es immer noch punktuelle Kooperationen und so viele Peace-keeping-Missionen wie noch nie, doch bei den wirklich großen Konflikten - Syrien und Ukraine - blockiert sich der Sicherheitsrat mit Vetos. Eine positive Ausnahme war die Einigung über die Vernichtung der Chemiewaffen in Syrien. Bisher hat sich Peking in der UNO oft hinter den konfliktbereiteren Russen versteckt. Unter der Führung Xi Jinpings fährt China einen deutlich selbstbewussteren Kurs. China ist so erfolgreich darin, bilateral informelle Bündnisse zu schmieden, dass es vermutlich eine konfrontative Strategie im Sicherheitsrat vermeiden wird.

Kann das Völkerrecht so entwickelt werden, dass die militärische Robotik so begrenzt wird, dass kein Chip entscheiden darf, wer stirbt? Prof. Brzoska: Mit Sicherheit werden zunehmend automatisierte und sogar autonome Systeme in Kriegen eingesetzt. Zu verlockend ist die Aussicht, die eigenen Verluste zu begrenzen und sehr zielgenau gegen den Feind vorgehen zu können. Die Entwicklung begann lange vor den Drohnen. So sind Torpedos auch bereits automatisierte Systeme, die allerdings noch nicht autonom darüber entscheiden können, was ein legitimes Ziel ist und was nicht. Der Trend wird sich schwer aufhalten lassen. Es gibt aber Chancen, zu einer zumindest verbalen Übereinkunft darüber zu gelangen, dass die letzte Entscheidung über Leben und Tod ein Mensch treffen soll. Dies kann aber auch über eine entsprechende Software-Programmierung geschehen. Ob sich alle an eine solche Übereinkunft halten würden, ist aber fraglich.

Senkt die Automatisierung des Krieges die Schwelle für die Anwendung militärischer Gewalt? Prof. Brzoska: Weniger die Automatisierung - die meisten Drohnen sind ferngelenkt, nicht automatisiert - als die Verminderung der eigenen Verluste und die Aussicht auf Zielgenauigkeit. "Chirurgische Schläge" ernten in der westlichen Welt eher Rückhalt als massive Flächenbombardements.

Sind gezielte Tötungen durch Drohnen außerhalb von Kriegsgebieten Morde oder Kriegshandlungen? Prof. Brzoska: Nach Meinung der meisten Staaten, sind außerhalb von Kriegsgebieten die Regeln des Kriegsrechts nicht anwendbar. Die Amerikaner argumentieren nun, dass sie in einem globalen Krieg gegen den Terror stehen, von daher das Kriegsgebiet nicht zu begrenzen ist. Was in den USA zu Widerspruch von rechtskonservativer Seite geführt hat. Paul Ryan wandte etwa ein, dass mit dieser Argumentation Washington auch erlaubt werden könnte, in den USA zuzuschlagen - und das könne man dem Staat nicht erlauben.

Bedarf das Völkerrecht mit seiner klaren Unterscheidung zwischen Zivilisten und Kombattanten angesichts der steigenden Zahl asymmetrischer Konflikte der Überarbeitung? Prof. Brzoska: Wir erleben gerade das Gegenteil. Die relativ klaren Vorschriften im Kriegsvölkerrecht werden aufgeweicht, nicht nur, weil sich Guerillas nicht über Abzeichen und Uniformen als Kämpfer ausweisen. Sondern auch, weil die Kriegsführung der USA im Irak und Afghanistan verstärkt von Special Forces und CIA-Agenten getragen wurde, die zwar Kämpfer, aber als solche nicht zu erkennen sind. Zudem haben die Amerikaner im Kosovo und im Irak auch selbstverständlich zivile Infrastruktur angegriffen, weil diese auch den Militärs nutzen. Das stimmt zwar, weicht aber die Unterscheidung auf.

Wird dieser Trend noch durch das Outsourcing militärischer Gewalt in Söldnerfirmen verstärkt? Prof. Brzoska: Das war in den 90er-Jahren tatsächlich der Fall, aber mittlerweile hat sich der Trend umgekehrt. Problematisch ist der Einsatz solcher Sicherheitsfirmen vor allem, weil deren Mitarbeiter bei Kriegsverbrechen weder vom Kriegsrecht noch von zivilen Gesetzen zu greifen waren.

Wie kann die europäische Sicherheitsarchitektur, namentlich die OSZE, wieder gestärkt werden, um etwa den Konflikt mit Russland zu entschärfen? Prof. Brzoska: Als Lippenbekenntnisse sind immer noch zu hören, dass die Charta von Helsinki und die von Paris die Grundlage der europäischen Sicherheitsarchitektur bleiben sollen. Aber es gibt ein unterschiedliches Verständnis und deshalb ein Spannungsverhältnis bezogen auf die Souveränität bestehender Staaten und das Selbstbestimmungsrecht der Völker. So kritisiert der Kreml, dass das Souveränitätsrecht Serbiens verletzt wurde, als der Kosovo anerkannt wurde. Der Westen konterte mit dem Willen der Kosovaren und dem Selbstbestimmungsrecht der Völker. Hier muss aus meiner Sicht der Versuch gestartet werden, diese Regeln wieder gemeinsam zu interpretieren. Bezogen auf die Krim könnte das etwa bedeuten, dass festgehalten wird, dass die Eroberung der Krim völkerrechtswidrig war und nicht an anderer Stelle wiederholt werden darf. Aber es muss den Bürgern auf der Krim die Möglichkeit gegeben werden, innerhalb eines überschaubaren Zeitraums ein Referendum über ihre gewünschte Staatszugehörigkeit abzuhalten - und zwar ohne Veto-Recht Kiews. Ein solcher Mechanismus wäre aber etwa für Spanien, in dem Katalanen und Basken von Unabhängigkeit träumen, oder England mit seinen abwanderungswilligen Schotten nur schwer zu akzeptieren. Dennoch lohnt es sich, zu versuchen, solche Prinzipien zu verankern.

Das Interview führte

Joachim Zießler

Pressekontakt:

Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de

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