Landeszeitung Lüneburg: "Hass ist seine Hauptwährung" - Interview mit Prof. Dr. Bernd Greiner über Donald Trump
Lüneburg (ots)
Der Historiker Prof. Dr. Bernd Greiner sieht die US-Demokratie durch Donald Trump bereits "im Kern beschädigt"
Donald Trump nutzt die Anschläge von Manchester und London, um den muslimischen Bürgermeister von London weiter mit sinnentstellenden Zitaten zu attackieren und um seinen Muslim-Bann voranzutreiben. Steht er in einer symbiotischen Beziehung zum islamistischen Terror?
Prof. Bernd Greiner: Ja, insofern, als er das Spiel mit umgekehrten Vorzeichen weitertreibt. Trump schlägt aus der Übertreibung, Skandalisierung und Inszenierung von Ängsten politisches Kapital. Er hat gemerkt, dass er politisch punktet, indem er minimale Möglichkeiten in maximale Wahrscheinlichkeiten umdeutet; indem er suggeriert, er könne totale Sicherheit garantieren; indem er Einwanderer stigmatisiert und Ressentiments auf sie lenkt. Das ist sein Geschäft. Inwieweit steht Trump mit diesem Geschäft in einer US-Traditionslinie von Andrew Jackson über
Barry Goldwater bis Ross Perot, inwieweit ist er ein Betriebsunfall? Ein Betriebsunfall ist er nicht, steht aber auch nicht in einer Reihe mit einem zwar polarisierenden, dennoch bedeutenden Politiker wie Jackson, oder Goldwater, der die Republikaner trotz seiner krachenden Niederlage 1964 auf einen Rechtsaußen-Kurs schob. Er ist auch kein Wiedergänger von Ross Perot, oder anderer Außenseiter, sondern fällt aus dem Rahmen des traditionellen Konservatismus. Im Unterschied zu klassischen Konservativen meint er es ernst mit dem Appell, das "alte System" und die "Altparteien" abschaffen zu wollen. So gesehen knüpft er eher an der Agenda von Populisten und zivilgesellschaftlichen Angstunternehmern an, die seit dem 18. Jahrhundert einen festen Platz in Amerikas Politik und Kultur haben.
Dass er immer wieder Angst vor Auslöschung beschwört - im Innern der weißen Vorherrschaft, in der Welt der US-Vorherrschaft - ist doch nur alter Wein in neuen Schläuchen, oder?
Ja, er greift ein Angstmotiv auf, das in der US-Geschichte immer wieder hochkocht: Die Angst vor der Immunschwäche einer Einwanderergesellschaft, deren Toleranz angesichts dauerhafter Unwägbarkeiten überfordert ist und zur Quelle eines hausgemachten Scheiterns wird. Hinzu kommt die Ungewissheit über die künftige weltpolitische Rolle der USA. Die Zeit der Dominanz der Vereinigten Staaten neigt sich dem Ende zu, die Zeichen stehen auf Multipolarität. Künftig wird sich Washington mit anderen Akteuren auf Augenhöhe ins Benehmen setzen und Macht in einem bisher ungekannten Umfang teilen müssen. Das setzt Ängste vor einem Statusverlust im Äußeren frei, die Trump ebenso gut schüren kann wie die im Innern.
Ist die derzeit herrschende Verachtung für die Eliten der Kulminationspunkt des traditionellen Kulturkampfes in den USA zwischen Stadt und Land sowie zwischen weltoffen und isolationistisch?
Ja, insofern als Trump diese Tradition aufgreift und in einer völligen Verzerrung wiedergibt. Der kritische Blick auf wirtschaftlich und politisch dominierende Eliten kann durchaus positiv, nämlich als basisdemokratisches Korrekturelement gesehen werden. Doch Trump macht etwas ganz anderes, er greift diesen Gedanken auf und verformt ihn zu einem von Hass und Ressentiment geprägten Diskurs. Hass ist seine Hauptwährung. Jenseits der Zerstörung des "Alten" hat er keine politischen Visionen anzubieten. So gesehen pervertiert er eine Traditionslinie.
Nicht nur die Einreisebeschränkungen zeigen seine Verachtung für die Verfassung. Sondern auch seine Weigerung, die Führung seines Konzerns aus der Hand zu geben. Gegen den Muslim-Bann gehen Gerichte vor, gegen die Verquickung von Profit-Interessen und Amt nicht. Wird die Justiz von Trumps Wucht überrollt?
Das ist eine gute Beschreibung seiner Strategie: Überforderung des politischen Diskurses durch permanente Skandale, permanenten Themenwechsel. Die Justiz findet noch keinen Ansatzpunkt, um Trump effektiv einzubremsen, weil er parallel bereits wieder zig weitere Anlässe für juristischen Korrekturbedarf liefert. Diese Überforderung des administrativen und politischen Betriebs, das hochdrehende und kurzatmige Erzeugen immer neuer Aufgeregtheiten, scheint mir vorsätzlich zu sein.
Vorgänger Obama brachte die USA gut durch die Finanzkrise. Bedarf die Angst vor dem Niedergang nicht mehr des echten Niedergangs?
Das ist eine interessante Frage, weil Trump tatsächlich von wirtschaftlichen Konjunkturen unabhängig ist. Er spielt mit der Imagination, mit vorgestellten Bedrohungen. Er übersteigert Verlustängste auch bei Gruppen, die diesen Verlust real gar nicht befürchten müssen oder noch nicht erlebt haben. Hier verformt die Phantasie die Realität. Man kann Trump also nicht darauf reduzieren, dass er die Ressentiments der Verlierer im Rost-Gürtel mobilisiert hat. Er entwirft phantastische Horrorszenarien, gegen die scheinbar nur die harte Hand des Autokraten hilft.
Wie passt die Verleugnung der Ängste wegen des Klimawandels in das Bild des Angstunternehmers?
Das passt sehr gut in seine außenpolitische Agenda, weil die Bekämpfung des Klimawandels eine multilaterale Politik voraussetzt, abgestimmt unter gleichberechtigten Akteuren. Aus der Sicht Trumps und seiner Unterstützer bedeutet dies eine nicht zulässige Einmischung des Auslandes in die inneren Angelegenheiten der USA. In den 20er-Jahren verlief die Diskussion um den Völkerbund ähnlich, den konservative Amerikaner ablehnten, weil sie die US-Innenpolitik vor Einflüssen von außen abschirmen wollten. Ganz ähnlich klang die Fundamentalkritik der Rechten an den Vereinten Nationen. Trump schöpft aus diesem Reservoir, treibt bestimmte Gedanken mit einem radikalen Nationalismus auf die Spitze und stellt damit die Grundregeln internationaler Kooperation, vorweg Berechenbarkeit, Verlässlichkeit und Transparenz gänzlich zur Disposition. Der Klimawandel, der einen real ängstigen könnte, wird thematisch überlagert von der herbeiphantasierten Vorstellung einer Verschwörung von außen.
Reiht sich der Trumpismus in die autokratischen und rechtspopulistischen Bewegungen in anderen Ländern ein?
Was die Ausformulierung eines radikal nationalistischen Programms betrifft, ja. Von Venezuela bis Russland spricht eine Front von Autokraten und Populisten mittlerweile dieselbe Sprache, verfolgt ein Programm, das soziale oder ethnische Gruppen als nicht zum Volk gehörig ausgrenzt und Grundregeln kooperativer Außenbeziehungen aufkündigt.
Die ersten Massenproteste lassen eine Renaissance der Bürgerrechtsbewegung erahnen. Wird die vertiefte Polarisierung wieder in gewalttätige politische Auseinandersetzungen münden, wie in den 60ern?
Das Potenzial ist da, denkt man an die zurückliegenden Auseinandersetzungen nach Übergriffen von US-Polizisten gegen Schwarze. Allerdings vermute ich, dass sich das breite Protestpotenzial gegen Trump so lange nicht wird durchsetzen können, wie es nicht gelingt, den Widerstand zu bündeln und mit einer neuen Partei Gestalt und Richtung zu geben. Angesichts des sklerotischen Zustandes des Zweiparteiensystems kann nur eine neue, organisierte Kraft den real oder eingebildet Benachteiligten eine Stimme geben und ihnen ermöglichen, an der politischen Willensbildung teilzunehmen. Gelingt es nicht, das Parteiensystem im Sinne der Verlierer von Globalisierung und Neoliberalisierung aufzubrechen, haben Figuren wie Trump, die das dumpfe Gefühl, ausgeschlossen zu sein, aufgreifen und auf die Spitze treiben, die besseren Karten.
Wird Trump die Republikanische Partei spalten?
Das ist nicht auszuschließen, insbesondere deshalb, weil im republikanischen Parteiestablishment sehr viele Politiker vertreten sind, die aus Angst vor dem eigenen Macht- und Bedeutungsverlust bereit sind, sich hinter der Fahne eines jeden Mehrheitsbeschaffers zu versammeln. Das ist ein Momentum, das wir auch von anderen konservativen Bewegungen des 20. Jahrhunderts kennen: Selbstmord aus Angst vor dem Tod. Will heißen: Man wirft sich unterschiedslos allen an den Hals, die Stimmen ins eigene Lager spülen, in dem Irrglauben, man könne derlei Verbündete am Ende auch kontrollieren.
Wie die DNVP in der Weimarer Republik...
...exakt.
...läuft die mächtigste Demokratie der Welt Gefahr, in Richtung faschistoides System abzugleiten?
Solche Begriffe vermeide ich, um nicht hinkenden Vergleichen Vorschub zu leisten. Jede Epoche ist anders. Aber es gibt ein gemeinsames Drittes: die Verletzlichkeit von Demokratien. Die Demokratie lebt von Voraussetzungen, die sie selbst nicht garantieren kann. Sie ist ein sehr fragiles Regierungsmodell, das der dauernden Pflege bedarf und ein hohes Maß der Selbstreflektion und Selbstzurückhaltung voraussetzt. In diesen Punkten hat die amerikanische Demokratie in den letzten Jahren Schaden genommen. Trump führt die Kohorte derjenigen an, die kein gutes Haar an der Institution der Gewaltenteilung oder am Primat des Rechts lassen. Dieses Argumentationsmuster hinterlässt Spuren. Deshalb präsentieren sich die USA derzeit als eine im Kern beschädigte Demokratie.
Wie groß ist die Gefahr, dass ein begabterer Tyrann sich nach Trump dessen Methoden bedient, um sich von den Wutbürgern und Politikverweigerern ins Amt wählen zu lassen?
Historiker hassen es, in die Zukunft schauen zu müssen. Aber die Möglichkeit ist nicht von der Hand zu weisen - unter der Voraussetzung, dass ein Teil der Bevölkerung zu demokratischen Prinzipien und Usancen auf Abstand geht oder die "checks and balances" nicht mehr so funktionieren, wie sie funktionieren sollten. Wenn drei Dinge zusammenkommen: Strukturelle Beschädigungen, eine Krisensituation und ein rhetorisch begabter Angstunternehmer, können sich Eigendynamiken entwickeln, die - wie wir im 20. Jahrhundert erfahren haben - sehr schnell Systemen den Weg ebnen, die sich so vorab niemand vorstellen konnte.
Das Interview führte
Joachim Zießler
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