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Landeszeitung Lüneburg: "Der Todesstoß für jeden Friedensprozess" - Der Nahost-Experte Dr. Guido Steinberg sieht nach Trumps Entscheidung keine Chance mehr für eine Zweistaatenlösung

Lüneburg (ots)

Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini hat deutlich gemacht, dass die einseitige Anerkennung Jerusalems durch die USA eher eine Gefahr als eine Chance für den Frieden darstellt. Oder wird es eher so sein, dass der Himmel nicht einstürze, wie es die US-Botschafterin bei den UN, Nikki Haley, formuliert?

Dr. Guido Steinberg: Beide Positionen haben etwas für sich: Der Himmel wird natürlich nicht einstürzen. Ich glaube auch, dass der von einigen befürchtete Volksaufstand ausbleiben wird. Dafür gibt es keine physischen Möglichkeiten mehr. Die Palästinenser können zwar protestieren. Aber sie haben kaum Möglichkeiten so aufzutreten, dass es die Israelis schmerzt. Die meisten Palästinenser sind hinter Mauern und Zäunen eingesperrt. Gleichzeitig ist Trumps Entscheidung wahrscheinlich der Todessstoß für jeden Friedensprozess in Nahost. Ich persönlich bin der Meinung, dass es diesen Friedensprozess schon lange nicht mehr gibt - und dass es auch keine Chance mehr auf eine Zweistaatenlösung gibt. Eine Lösung, von der auch die Amerikaner seit Jahrzehnten sprechen. Nun ist mit Trumps Ankündigung quasi offiziell geworden, dass es keine Chance mehr auf eine Zweistaatenlösung oder eine in irgendeiner Art befriedigende Lösung für die Palästinenser gibt.

Gibt es die Chance nur nicht, solange Trump im Amt ist, oder generell?

Dr. Steinberg: Ich glaube, dass es diese Chance insgesamt schon seit einigen Jahren nicht mehr gibt. Denn der Raum, der für einen Staat Palästina realistischerweise noch zur Verfügung stand, war viel zu klein. Ich glaube nicht, dass sich eine palästinensische Führung mit einer solchen Zweistaatenlösung hätte anfreunden können, die nur eine limitierte Souveränität auf einem Raum gebracht hätte, der viel kleiner ist als die Grenzen von 1967. Trotzdem habe ich es immer für notwendig gehalten, Versuche zu unternehmen. Die Obama-Administration hat meines Erachtens einen sehr ernsthaften letzten Versuch gestartet, der gezeigt hat, wie hoffnungslos die Lage ist. Unabhängig davon, ob Trump noch ein, drei oder sieben Jahre US-Präsident ist: die Zweistaatenlösung hat sich erledigt.

Werden Russland oder China das Vakuum füllen, dass die USA als Vermittler in Nahost hinterlassen haben?

Dr. Steinberg: Dafür gibt es keine Anzeichen. Die Chinesen sind im Nahen Osten bisher nur an wirtschaftlichen und energiepolitischen Fragen interessiert. Und ich sehe nicht, dass sich das in naher Zukunft ändern wird. Russland ist keine Supermacht mehr. Sie haben nur begrenzte Möglichkeiten und vor allem keinen Einfluss auf Israel. Letzten Endes war jeder Erfolg eines Friedensprozesses doch immer davon abhängig, dass der wichtigste Verbündete, die USA, die Israelis zum Einlenken bewegt. Die USA bleiben der wichtigste Verbündete Israels. Keine andere Macht hat die Aussicht, eine ähnliche Position für Israel einzunehmen. Abgesehen davon hoffe ich nicht darauf, dass Russland und China einflussreicher werden in der Welt. Wir sehen zum Beispiel in Syrien, welche Folgen das hat.

Sollte oder muss die EU diplomatisch aktiver werden?

Dr. Steinberg: Die EU ist im israelisch-palästinensischen Konflikt immer nur ein unterstützender Akteur gewesen - aus den gleichen Gründen, aus denen Russland und China keine Rolle spielen können. Die EU ist zwar eng mit den Israelis verbunden. Trotzdem hat die EU nur stark begrenzten Einfluss auf Israel. Im Gegenteil: Die Vorstellungen davon, wie eine Politik gegenüber den Palästinensern auszusehen hat, wie der Nahe Osten geordnet werden sollte, gehen weit auseinander. Zumindest zwischen den großen vier EU-Staaten und Israel, nicht zwischen Ungarn und Israel.

Kann die EU überhaupt als Einheit auftreten, nachdem Litauen Israels Premier Benjamin Netanjahu eingeladen hat, Ungarn eine Kritik der Trump-Entscheidung im Namen aller 28 EU-Staaten verhindert und Tschechien Trumps Schritt als nicht falsch bezeichnet hat?

Dr. Steinberg: Das Thema Israel hat das Potenzial, Bruchlinien in der europäischen Außenpolitik zu vertiefen. Aber ohne die Abstimmung mit den USA am Ende hat die europäische Außenpolitik keine Chance.

Wäre eine mögliche Antwort der EU die Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt der Israelis und der Palästinenser?

Dr. Steinberg: Da die europäische Position so schwach ist, ist es fast gleichgültig, wie sie agiert. Wenn die EU versucht, ohne die USA Druck auszuüben, hat das keine Auswirkungen auf den Konflikt - außer das Verhältnis vor allem zu Israel nachhaltig zu stören. Das ist ein Problem, das die Europäer sich teils selbst geschaffen haben. Es gibt eine deutliche Diskrepanz zwischen der Rhetorik, die immer wieder suggeriert, dass die EU ein außenpolitischer Akteur ist und Einfluss hat, und der Wirklichkeit. Es sind die USA, die entscheiden, wie die Israel-Politik des westlichen Bündnisses aussieht.

Sieht sich Netanjahu dank Trump als starker Mann in Nahost?

Dr. Steinberg: Insgesamt sind die Trump-Freunde in der Region ermuntert worden. Es ist kein Zufall, dass die Beziehungen der Trump-Administration zu Israel, zu Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten neuerdings enorm stark sind. Die Herrscher in all diesen Staaten - mit Abstrichen auch in Ägypten - sehen die Trump-Administration viel positiver als die Europäer. Sie sehen mit Präsident Trump eine Chance, wieder eine aggressivere Politik gegenüber dem Iran zu führen als noch unter der Obama-Administration. Dass sich Saudi-Arabien ermutigt fühlt, haben wir während der Katar-Krise im Sommer gesehen. Israel fühlt sich nun ermutigt durch die Jerusalem-Entscheidung. Die Frage wird sein, ob die Israelis so unvorsichtig sein werden wie Saudi-Arabien und durch unüberlegte Maßnahmen noch mehr Öl ins Feuer gießen.

Auch der türkische Präsident Erdogan hat Trumps Schritt kritisiert und betonte, Jerusalem sei die rote Linie der Muslime. Bisher hatte er Trump geschätzt. Wird sich nun das Verhältnis zwischen Ankara und Washington abkühlen?

Dr. Steinberg: Generell hat Trump all diejenigen Regierungen, die sich islamische Legitimität zu geben versuchen, durch die Jerusalem-Entscheidung in massive Bedrängnis gebracht. Erdogan hat aufgrund seines Hintergrundes und seiner Politik in den vergangenen Jahren keine andere Chance, als diesen Schritt massiv zu kritisieren. Das Verhältnis zwischen der Türkei und den USA ist ohnehin schon abgekühlt - allerdings nicht so stark wie das Verhältnis zwischen Deutschland und der Türkei. In jedem Fall wird die Jerusalem-Entscheidung sicher nicht dazu führen, dass sich das Verhältnis zwischen Washington und Ankara bessert.

Sie glauben nicht mehr an eine Friedenslösung in Nahost. Gehen Sie davon aus, dass der Status quo von heute in den kommenden Jahren anhalten wird?

Dr. Steinberg: Ich befürchte, dass es bei diesem Status quo bleibt. Die Trump-Administration hat ihre eigenen Pläne zumindest insofern vereitelt, weil die Palästinenser nun nicht mehr in der Lage sind, in irgendeiner Weise ernsthaft mit den Amerikanern zu verhandeln. Das Absurde an Trumps Schritt ist, dass die USA für Anfang 2018 schon einen Friedensplan angekündigt hatten, dessen Details schon durchgesickert waren. Demnach soll Jerusalem nicht Hauptstadt eines künftigen Staates Palästina sein. Die Grenzen werden ungefähr so gezogen, wie es die Israelis mit ihrem Mauerbau in den vergangenen Jahren getan haben. Die Siedlungen werden nicht wesentlich zurückgebaut. Und es wird auch kein Rückkehrrecht für palästinensische Flüchtlinge geben. All das entspricht weitgehend den Forderungen der israelischen Rechten. Wie es in der gegenwärtigen Situation überhaupt zu konstruktiven Gesprächen mit den Palästinensern kommen soll, sehe ich nicht. Die Amerikaner können den Friedensplan den Palästinensern vielleicht aufzwingen, aber dies wird keinen positiven Effekt haben.

Nach dem Verbrennen israelischer Flaggen bei Demonstrationen in Berlin hat der Zentralrat der Juden in Deutschland sich für Gesetzesänderungen ausgesprochen, um antisemitische Kundgebungen von vornherein untersagen oder im Verlauf dann schnell auflösen zu können. Teilen Sie diese Meinung?

Dr. Steinberg: Es war zwar schwer erträglich, was dort in Berlin zu sehen war. Aber ein solcher Schritt wäre eine Einschränkung des Demonstrationsrechts, wie ich sie noch nicht für nötig halte. Wir müssen uns sonst die Frage stellen, inwieweit auch rechtsextremistische Kundgebungen verboten werden müssen. Dann käme sofort die Frage auf, wo denn die rechtsextremistische oder die antisemitische Kundgebung beginnt. Ich glaube, dass wir das zunächst einmal aushalten müssen. Es ist aber kein Zufall, dass das Verbrennen von Flaggen in Berlin stattgefunden und niemand eingegriffen hat. Hier scheint mir die Polizei insgesamt zurückhaltender als in anderen Ländern. Ich halte das eher für ein praktisches Problem als ein Problem der Gesetzeslage.

Das Interview führte Werner Kolbe

Pressekontakt:

Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de

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