Landeszeitung Lüneburg: Viel mehr als Schwert oder Schild/Marineexperte Dr. Sebastian Bruns: Flugzeugträger gehören trotz neuer Gefahren noch lange nicht zum alten Eisen
Lüneburg (ots)
Von Joachim Zießler
Die USA stellen gerade eine neue Flugzeugträger-Klasse in Dienst, Russland, Frankreich und Indien haben Trägerflotten, China will sich eine zulegen, Japan spielt zumindest mit dem Gedanken. Bleiben Flugzeugträger nach wie vor das entscheidende Mittel, um Kanonenboot-Politik betreiben zu können? Dr. Sebastian Bruns: Den Begriff Kanonenboot-Politik würde ich vermeiden, da dieser schon finstere Absichten suggeriert. Tatsächlich aber bleiben Flugzeugträger das Mittel der Wahl, um Macht über große Distanzen projizieren zu können. Einfach weil Flugzeugträger dank des internationalen Seerechts relativ nah an ein Krisengebiet oder in die Nähe eines verbündeten Staates verlegt werden können. Wollte man dasselbe mit Heeres- oder Luftwaffeneinheiten machen, müsste man sich zuvor umständlich Basen und Überflugrechte sichern. Dagegen hat man mit einem Flugzeugträger, der außerhalb aller Hoheitsgewässer operieren kann, eine breite Palette von Möglichkeiten: Vom Flagge zeigen bei gemeinsamen Übungen mit Verbündeten über das Flagge zeigen bei Rivalen, indem man Jets und Helikopter in deren Nähe starten lässt, bis hin zu Bombardements, wie jetzt in Syrien. Weil das Spektrum des Flugzeugträgers so breit ist, ist er ein bewährtes Instrument, seine politischen Interessen auch weit entfernt vom eigenen Territorium durchzusetzen. Allerdings mehren sich seit Jahren die Stimmen von Experten, die der Auffassung sind, diese Machtprojektion würde auch mit anderen, kleineren Einheiten funktionieren. So schrieb der russische Militärblogger Gary Brecher schon vor fünf Jahren, Flugzeugträger seien das, was die Schlachtschiffe schon 1941 gewesen seien: "Große, stolze und teure Zielscheiben". Andere meinen, es sei im globalen Zeitalter mit seiner störungsanfälligen Vernetzung nicht mehr wichtig, sichtbar am Horizont eines anderen Landes aufzutauchen, um Macht zu demonstrieren.
Großbritannien feiert in den harten Zeiten des Brexits das Comeback als Seemacht dank "HMS Prince of Wales" und "HMS Elizabeth". Werden die Briten die 6,2 Milliarden Pfund für das Gefühl eines "global britain" angesichts leerer Kassen noch bereuen? Die "Times" spekuliert über eine Kürzung der Truppenstärke der Armee. Dr. Bruns: In der Tat gilt der Satz "Träger frisst Flotte" weitestgehend. Wer einen oder mehrere Träger in Dienst nimmt, schultert eine gewaltige langfristige Investition, welche die Spielräume anderswo beschneidet. Mit dem Träger selbst ist es nicht getan, dieser braucht U-Boote als Geleitschutz, Lenkwaffenabwehrfregatten, Kreuzer, Versorgungsschiffe und einiges mehr. Vieles von dem Geld, das für die Flotte zur Verfügung steht, muss in die Begleitschiffe fließen. Aber auch die Royal Marines, also die Marineinfanterie, Heer und Luftwaffe werden leiden. Da die Briten zudem ihre teure seegestützte, nukleare Zweitschlagskapazität erhalten wollen, schrumpfen die Kuchenstücke für die anderen Truppengattungen erheblich. Über einen längeren Zeitraum erkennt man allerdings einen Pendelschlag: Mal profitieren die maritimen Komponenten von Streitkräften stärker, mal die landgestützten Einheiten. Als der Feldzug in Afghanistan begann, haben etwa Luftwaffe und Heer erheblich mehr Mittel erhalten als die Royal Navy.
Machen Entscheidungen mit einer derart langen Vorlaufzeit - London gab Ende der 90er-Jahre grünes Licht für den Bau -, für Staaten, die keine Weltmacht sind, überhaupt Sinn? Finanzen und Bedrohungslage haben sich geändert. Dr. Bruns: Die angelsächsischen Staaten stellen sich eher die Frage, welche Kriege zu führen sie eigentlich bereit wären, als etwa Deutschland. Nach 9/11 galt die Maßgabe, den Terror zu besiegen. Also rüstete man sich, um Landkriege in Zentralasien führen zu können. 15 Jahre später ist die Ernüchterung im Westen so groß, dass eher Abstand von Versuchen genommen wird, Staaten in Demokratien umformen zu wollen. Jetzt wird eher wieder die Fähigkeit angemahnt, die Nation verteidigen und den nordatlantischen Raum sichern zu können. Und für diese Aufgabe kommen die Träger zur richtigen Zeit, liefern einen breiten Werkzeugkasten, indem sie London sowohl befähigen, afrikanische Staaten zu stabilisieren als auch Russland im Nordpolarmeer einzuhegen.
Ehemalige Großmächte wie Frankreich und Großbritannien schippern mit Trägern immer am Rand der Überdehnung ihrer Kräfte. Wieso scheiterte eine Kooperation? Dr. Bruns: Rüstungspolitik ist immer auch Standort- und Arbeitsmarktpolitik. So scheiterte das Vorhaben schlicht daran, dass beide mit dem Projekt die Jobs in ihren Werften und Flugzeugfabriken sichern wollten. So blieb den Regierungen beider Länder aber erspart, die Probleme zu lösen, die sich aus dem Wunsch, das Schiff mit gemischten Besatzungen zu bemannen, ergeben hätten. Kommen die britischen Piloten mit ihren Jets mit, wenn Paris seine Interessen in einer ehemaligen Kolonie vertreten will? Wer "Airbus zur See" träumt, muss berücksichtigen, dass er drei davon braucht. Einer ist immer im Dock, einer im Training und einer im Einsatz. Und diese Kraftanstrengung kann ich mir vor dem Hintergrund der sehr unterschiedlichen nationalen Prioritäten in Europa nicht vorstellen.
Sind indische und chinesische Träger sowie italienische, spanische, türkische und japanische Mehrzweck-Trägerprojekte von ihrer Kampfkraft eher als regionale Machtmittel zu bewerten? Dr. Bruns: Tatsächlich taugt allein die US-Navy zum globalen Machtmittel. Unter anderem, aber nicht nur durch ihre Trägerkampfeinheiten. Den anderen von Ihnen genannten Nationen geht es eher darum, den eigenen Vorhof zu kontrollieren. Indien will im Indischen Ozean als Regionalmacht ernst genommen werden, auch von den beiden Rivalen Pakistan und China. China baut seine Flotte seit 8 Jahren gewaltig aus. Pekings Ehrgeiz ist, in ganz Asien Vormacht zu sein. Sein Handicap sind die beiden Inselketten vor ihrer Küste. Hier sollen die Träger dem Ziel dienen, die Sicherheit der Seewege, von denen die Handelsnation abhängig ist, durchkämpfen zu können. Japan will diese Ambitionen mit einem Hubschrauber-Träger einhegen, der aber nicht so heißen darf, solange die Verfassung derartige Rüstungsprojekte verbietet. Nachdem Spanien vier Jahrzehnte über einen großen Flugzeugträger verfügt hat, stieg das Land nun auf kleinere Helikopterträger um, von denen allerdings auch F35-Senkrechtstarter abheben können. Australien und die Türkei bauen von diesem kleineren, agileren Typ ebenfalls Exemplare. Sie sind für Landesverteidigung besser geeignet als Dickschiffe jenseits der 70000 Tonnen.
Wie werden Robotik und Miniaturisierung wirken? Werden Träger kleiner und billiger, weil sie künftig eher Drohnen statt bemannte Jets transportieren? Oder werden sie als Dinosaurier einer vergangenen Ära einfach überflüssig? Dr. Bruns: Das ist eine sehr gute Frage. Die USA hatten geprüft, ob die nächste Generation nicht eher "Baby-Carriers" sein sollten. Allerdings sinkt der Nutzwert dramatisch. Ein halb so großer Träger kann nur ein Drittel der Jets tragen, kostet aber zwei Drittel des großen. In den nächsten 10 bis 15 Jahren werden wir noch gewaltige Änderungen infolge von Robotik und Miniaturisierung erleben. So starteten die Amerikaner vor zwei Jahren erstmals ein unbemanntes Flugzeug von einem Träger. Da bestehen noch eine Menge Forschungsbedarf und offene ethische Fragen. Wer entscheidet, wann der Roboter schießt - die Software oder ein Mensch? Ich schätze, dass die großen Nationen noch bis 2050 große Flugzeugträger haben werden. Kleinere Nationen müssen andere Wege gehen, um regional ihre Interessen zu wahren. Der Nachruf auf die Flugzeugträger wäre verfrüht.
Peking fährt eine Doppelstrategie. Sie eignen sich selbst die Träger-Taktiken an und entwickelten den "Carrier-Killer" DF-21D. Verbannt er die US-Navy aus den chinesischen Küstengewässern? Dr. Bruns: Das ist die Eine-Million-Dollar-Frage. Die ballistische Rakete der Chinesen hat bei der US-Navy Sorgen ausgelöst. Noch fehlt es aber an Tests, die belegen würden, dass diese Rakete auch einen sich bewegenden Träger treffen könnten. Die Amerikaner waren es bisher gewohnt, sich mit ihren Trägergruppen in Asien frei bewegen zu können. Nun erwächst ein Rivale mit geopolitischen Ambitionen in der Region. Ich bin skeptisch, ob diese Bedrohung die strategische Rolle der Träger wirklich beschränkt. Man muss auch berücksichtigen, dass ein derartiges Bedrohungsszenario von der US-Navy tendenziell eher überhöht wird, um mehr Geld zu erhalten.
Wie gewappnet sind die Träger im Cyber-Krieg? Dr. Bruns: Die USA versuchen in diesem Punkt, vor der Welle zu schwimmen. Sie haben ein eigenes Cyber-Command, eine virtuelle 10th Fleet, die die Datenverarbeitung der eigenen Truppen schützt und Cyber-Angriffsmittel entwickelt. Der Cyberraum ist mittlerweile ein eigenes Schlachtfeld. Es gibt Spekulationen, dass hinter den Kollisionen von US-Zerstörern mit Frachtschiffen Cyberattacken auf die zivilen Schiffe stecken.
Militärs wird oft unterstellt, dass sie für die Kriege der Vergangenheit rüsten. Gilt das auch für die Träger? Dr. Bruns: Nein. Der Vorwurf, dass immer der letzte Krieg geplant wird, ist so alt wie die Kriegsgeschichte. Und gerade in Sachen waffentechnischer Innovationen erweist sich der Krieg immer wieder als "Vater aller Dinge". Dennoch erlauben die Flugzeugträger ein breites Spektrum an Aktionen, von reiner Präsenz über Kanonenbootpolitik bis zu Luftschlägen. Seestreitkräfte sind so flexibel, dass sie viel mehr sind als Schwert oder Schild. Sie nehmen eine politische Rolle ein.
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