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Neue Westfälische (Bielefeld)

Neue Westfälische: Gewalt in der Gesellschaft Gegen die Gleichgültigkeit THOMAS SEIM

Bielefeld (ots)

Ein 50-jähriger Geschäftsmann ist tot. Zwei
junge Männer haben ihn erschlagen, weil er Kinder vor ihnen schützen 
wollte. Ein paar Meter weiter standen andere Menschen und sahen zu. 
Eingegriffen haben sie nicht. Aus Furcht? Aus Gleichgültigkeit?
Hand aufs Herz: Hätten Sie eingegriffen? Ich bin mir nicht ganz 
sicher, ob ich es getan hätte. Ich versuche, mir einzureden, dass ich
geholfen hätte. Aber sicher bin ich nicht. Sicher ist sich keiner von
denen, dem ich die Frage - auf Ehre unter vier Augen - vorgelegt 
habe.
Wir leben in einer Gesellschaft, in der das Nebenan immer weniger 
zählt. Die Menschen sind sehr auf sich konzentriert, darauf, dass sie
sich und ihre Familie einigermaßen durch das komplizierter gewordene 
Leben steuern. Für den Blick zur Seite, auf den Nächsten und dessen 
Sorgen, Nöte, Probleme bleibt kaum Raum.
Früher nannte man das Ellbogengesellschaft. Aber das trifft es nicht.
Wir sind nicht die Gesellschaft rücksichtsloser Ich-linge, die ihr 
Handeln gegen andere richten. Die Menschen wollen für sich sein, nur 
für sich. Das Ergebnis ist Gleichgültigkeit. Es ist uns unwichtig 
geworden, wer oder was neben uns ist. Oder wer neben uns stirbt. Wir 
haben genug damit zu tun, selbst zurecht zu kommen.
Dieses Phänomen kann man nicht nur im Alltag der menschlichen 
Beziehungen beobachten. Es gilt auch - oder gerade - in der Politik. 
Die Wahlbeteiligung sinkt. Die Parteien und ihre Politiker haben 
Mühe, die Bürger, auch interessierte Bürger, für die öffentliche 
Sache, die res publica, für unsere Republik also, zu interessieren. 
Es regiert Gleichgültigkeit.
Das gab es schon mal in Deutschland. Auch das Biedermeier im 19. 
Jahrhundert liebte das private Idyll und ließ die öffentliche Sache 
verkommen. Mit verheerenden Folgen, wie wir heute wissen.
Aber wenn die Deutschen traditionell lieber privat bleiben wollen - 
darf man ihnen das vorhalten?
Man darf nicht nur, man muss. Man darf uns nicht aus der Pflicht 
gegenüber Mitmenschen wie dem 50-jährigen Kinderbeschützer entlassen.
So wenig wie man uns aus der Pflicht gegenüber der öffentlichen 
Sache, unserer Republik, entlassen darf. Deshalb muss man von den 
Bürgern verlangen, dass sie sich einmischen und einem 50-Jährigen 
helfen, wenn er sich schützend vor Kinder stellt. Deshalb muss man, 
auch wenn man gegen eine Wahlpflicht ist, von ihnen verlangen, dass 
sie sich die Mühe machen, alle paar Jahre ihre Parlamente mit zu 
wählen.
Es ist in Mode gekommen, die 68-er-Protestbewegung der Studenten zu 
verunglimpfen, weil sie Autoritäten so sehr in Frage stellte, dass 
weiten Teilen der Gesellschaft der Respekt vor Institutionen und 
Menschen völlig abhanden kam. Dem Vorhalt müssen sich die 
Protagonisten von damals sicher stellen.
Aber auch diesen Spiegel haben die 68-er der Bürgergesellschaft 
vorgehalten: Lasst das Glotzen sein - greift ein! Das ist und bleibt 
ein guter Rat. Für die Politik. Und für die Menschen auf den 
Bahnsteigen. In München. Und überall in Deutschland.

Pressekontakt:

Neue Westfälische
Jörg Rinne
Telefon: 0521 555 276
joerg.rinne@neue-westfaelische.de

Original-Content von: Neue Westfälische (Bielefeld), übermittelt durch news aktuell

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