Neue Westfälische (Bielefeld): KOMMENTAR Deutsche Europapolitik Vertrauen zerstört CARSTEN HEIL
Bielefeld (ots)
Zum Pfingstwunder gehört es laut biblischer Überlieferung, dass Jesu Jünger zwar in ihrer Muttersprache Hebräisch, bzw. Aramäisch, predigten, sie aber von allen anderen Menschen verstanden wurden, die dieser Sprachen eigentlich gar nicht mächtig waren. Für kurze Zeit war die babylonische Sprachverwirrung aus dem Alten Testament beseitigt. Prompt sagten die Kritiker der Jünger: "Sie sind voll süßen Weines." In Europa geht es in diesen Wochen nach Jahren zähen und mühsamen Zusammenwachsens in diesen Wochen wieder in die andere Richtung. Die politische und wirtschaftliche Integration war bei allen Schwierigkeiten noch nie so gefährdet wie jetzt, da Zusammenrücken in der Krise wichtiger ist denn je. Hauptverantwortlich für den Riss ist Deutschland. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat mit den Grundüberzeugungen ihrer Vorgänger Helmut Kohl und Helmut Schmidt gebrochen. Sie hat Europa auf dem Altar der innenpolitischen Strategie geopfert. Schmidt und Kohl wussten genau, dass Deutschland aufgrund seiner Größe, seiner strategischen Lage in der Mitte Europas und aufgrund seiner Geschichte als ständiger Kriegstreiber aus nationalen Motiven, besonders zurückhaltend mit den europäischen Partnern umgehen muss. Sie vermieden Alleingänge und Großmannsgehabe. Und sie schufen damit Gewinn für Deutschland. Denn erstens ist das politische Zusammenwachsen Europas (bei allen damit verbundenen Problemen) für eine der längsten Friedensperioden auf dem Kontinent verantwortlich. Und zweitens gehen Zweidrittel der deutschen Exporte inzwischen in die EU und garantieren den Deutschen Wohlstand. Angela Merkel hat mit ihrer einsamen Ablehnung der Griechenhilfe zu Beginn der Krise, deren Bewältigung nicht nur verteuert. Sie hat Vertrauen in Europa zerstört, um bei der NRW-Wahl zu punkten. Dass Deutschland jetzt im Alleingang Leerverkäufe verbietet, beweist erneut, dass Merkel die Deutschen nicht mehr als Antreiber der europäischen Zusammenarbeit versteht. Die Nachbarn sind entsetzt. Die Sozialdemokraten und Grünen sind nicht viel besser. Mit ihrem innenpolitisch motivierten Theater, gestern dem Rettungsschirm nicht zuzustimmen, wollen sie Eindruck machen. Auch sie tun es auf Kosten Europas. Zum zweiten Mal binnen zweier Wochen. Zu Recht kritisieren die Genossen zwar das Hin und Her der Regierung. Aber im übergeordneten außenpolitischen Interesse hätten sie zustimmen müssen. Denn wenn die Rettung Griechenlands, des Euros und möglicherweise eines weiteren Landes schief geht, Europa stärker in nationale Interessen zerfällt, dämmert wieder eine Zeit der Unsicherheit bis hin zu lokalen Kriegen herauf. Ja, 148 Milliarden Euro Schutzschirmbeitrag aus Deutschland sind eine Riesensumme. Verglichen mit den Risiken und Kosten, die im anderen Fall auf uns warten, aber ein Klacks. Es entsteht der Eindruck, das deutsche politische Personal ist, wenn es um Europa geht, voll süßen Weines.
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