Neue Westfälische (Bielefeld): Neue Westfälische Bielefeld: 20 Jahre deutsche Einheit
Bielefeld (ots)
Feiern ohne Grenzen
THOMAS SEIM
Deutschland lebt Einheit in Freiheit. Seit 20 Jahren nun schon. Noch nie zuvor in der deutschen Geschichte haben die Menschen in unserem Land in so freier Selbstbestimmung in solch großer Zahl in so großem Wohlstand so friedlich mitten in Europa umgeben von lauter Freunden gelebt wie in diesen unseren Tagen. Es tut gelegentlich Not, dies festzustellen, um nicht an der Klagemauer der unzulänglichen Alltagspolitik zu veröden. Die heute 20-Jährigen sind eine glückliche Generation. Auch wenn derzeit viel davon die Rede ist, dass unsere Kinder für unsere Schulden und Fehlentscheidungen aufkommen und sie ausbaden müssen, bleibt doch zunächst einmal festzustellen: Keine Generation zuvor ist mit solchen Chancen ausgestattet gewesen, wie diese. Die Freiheit der Jugend heute ist grenzenlos: Kaum noch hindert ein Schlagbaum ihre Bewegungsfreiheit, weder in Richtung Osten noch in Richtung Westen. Weder für die Fahrt in den Urlaub noch für ihre Ausbildungschancen an den besten Lehrinstituten Europas und darüber hinaus oder für einen lukrativen Job. Die Vereinigung Deutschlands, die europäische Einheit und die weitgehende Aussöhnung mit den Staaten Mittel- und Osteuropas - das sind die großen Erbschaften, die die Generationen der Väter und Großväter der Generation der Einheit hinterlassen wird. Für diese 20-er ist heute selbstverständlich, was für die heute 40-, 60- oder 80-Jährigen, die in ihrer Kindheit noch jeweils stundenlang vor den Schlagbäumen der Grenzkontrollen warten mussten, bis heute zu den unfassbaren Glückserfahrungen zählt. Vielleicht liegt in dieser Selbstverständlichkeit des Glücks zugleich dessen größte Gefahr der 20-er Generation. Wer keine Grenzerfahrungen machen musste, dem wird es leichter fallen, neue Grenzen gegen echte und vermeintliche Herausforderungen, Gefahren und Bedrohungen zu fordern statt sie mit anderen, meist schwierigeren Strategien zu bestehen. Dem wird es leichter fallen, Schuldige für eigene und gesellschaftliche Schwächen zu finden und diese vermeintlichen Schuldigen statt der Schwächen zu bekämpfen. Der wird leichter auf die schlichten, radikalen Lösungen hereinfallen. Der wird im Fremden eher die Bedrohung als die Chance sehen. Wenn aber Grenzen erst gezogen sind, dauert es viele Jahre, bis sie wieder überwunden werden können. Auch das zeigen Bau und Fall der Mauer und die Wiedervereinigung vor 20 Jahren. Nur wer die Chancen sieht und sie trotz aller Risiken nutzt wird sich und das Land zum Positiven entwickeln können. Es bleibt viel zu tun. Ob blühende Landschaften oder soziale Gerechtigkeit, ob Modernisierung oder Stärkung unserer Traditionen, ob Überwindung des West-Ostgefälles beim Wohlstand oder Erneuerung der Verfassung als Gemeinschaftswerk - die Vollendung der deutschen Einheit ist eine Herausforderung. Für die 20-, 40-, 60-Jährigen und die 80-Jährigen. Jetzt und in Zukunft. Aber die ersten 20 Jahre sind geschafft. Was für ein Grund zum Feiern.
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