Neue Westfälische (Bielefeld): KOMMENTAR Urteil im Kachelmann-Prozess In sich gehen BERNHARD HÄNEL
Bielefeld (ots)
Jörg Kachelmann ist ein freier Mann. Juristisch korrekt, aber letztlich unbefriedigend ist diese Entscheidung des Landgerichts Mannheim. Nicht von ungefähr nennen Juristen Entscheidungen, in denen nicht über Schuld oder Unschuld befunden werden konnte, einen Freispruch zweiter Klasse. Ein Tribut an die Rechtsstaatlichkeit, nicht mehr und nicht weniger. Der spektakuläre, fast neun Monate und 44 Verhandlungstage lange Prozess hat einiges verändert in der Republik. Bei weitem nicht zum Guten. Wir erlebten eine Staatsanwaltschaft, die sich mit dem Vorwurf konfrontiert sah, sie sei eine unsägliche Kumpanei mit den Medien eingegangen. In der Tat verwunderte die Munitionierung einzelner Zeitungen und Magazine mit Details aus dem Ermittlungsverlauf. Beweisen ließ sich auch das nicht, was einem Freispruch dritter Klasse gleichkommt. Zu Recht reagiert die kritische Öffentlichkeit zornig auf die Amerikanisierung der Arbeit mancher Staatsanwaltschaften und einiger Polizei- und Justizvollzugsbehörden. Das begann bereits vor dem Kachelmann-Prozess. Erinnert sei nur an die Zurschaustellung der Verhaftung von Ex-Postchef Klaus Zumwinkel in seinem Privathaus. Das voyeuristische Interesse an dem medialen Strahlemenschen Kachelmann, die zähe Beweisaufnahme, das Stochern im Nebel von Wahrheit und Lüge, hat die Arbeit der Medien nicht erleichtert. Sie liefen Gefahr, manche unterlagen ihr auch, sich zum Instrument von Anklage oder Verteidigung zu machen. Darüber muss die Zunft in sich gehen. Es ist an der Zeit zu akzeptieren, dass Bettgeschichten anderer Leute Privatsache sind; auch ihre ausgelebten Sexualphantasien. Solange sie beidseitig akzeptiert sind. Wenn nicht, sind Richter und Staatsanwälte gefordert. Kachelmanns Freispruch darf daran nichts ändern. Diese Gewissheit müssen Vergewaltigungsopfer haben.
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