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Neue Westfälische (Bielefeld): KOMMENTAR USA im Lagerwahlkampf Armes Amerika DIRK HAUTKAPP, WASHINGTON

Bielefeld (ots)

An Amerika hat sich Europa oft aufgerichtet; materiell wie mental. Der unverwüstliche Geist des Aufbruchs, der feste Glaube an die eigene Einzigartigkeit, der hier herrschte, das waren Triebfedern, die bewundert wurden. Perdu. Sieben Monate vor den Wahlen um das Weiße Haus ist ein tief verunsichertes Land zu besichtigen, das seinen Eliten und sich selbst nicht mehr über den Weg traut. Präsident Barack Obama, vor vier Jahren von einer Welle messianischer Hoffnung ins Amt gespült, ist hart gelandet. Altlasten, eigene Zögerlichkeit und ein auf Krawall gebürsteter Kongress, der Politik verhindert, wo er eben kann, machen den mächtigsten Staatsmann der Welt zu einer "lahmen Ente". Dass seine Wiederwahl im November trotzdem möglich ist, liegt an der erbarmungswürdigen Konkurrenz. Die Republikaner, die sich nach dem furchtbaren Irrtum mit George W. Bush nach einem zweiten Ronald Reagan sehnen, schicken mit Mitt Romney ihren kleinsten gemeinsamen Nenner gen Washington. Ein Mann, der verkörpert, was Republikaner Amerika über 30 Jahre angetan haben: gigantische Umverteilung von unten nach oben, radikale Staatsenthaltung in allen Bereichen der öffentlichen Daseinsvorsorge und das Ausbluten der Mittelschicht. Und doch ist dieses multimillionendollarschwere Leichtgewicht, das politisch schon so ziemlich für alles war und kurz darauf auch wieder dagegen, keinesfalls zu unterschätzen. Amerikaner geben ihrem politischen Spitzenpersonal wenig Kredit. Wenn ein Herausforderer glaubhaft den Eindruck erweckt, er könne es mindestens ebenso gut wie der Amtsinhaber, hat er oft schon gewonnen. Romney, der als Risiko-Kapital-Investor steinreich geworden ist, behauptet über sich: Ich kann Wirtschaft. Eine Glaubensfrage. Aber darum dreht sich alles. Das könnte am Ende reichen. Das Obama-Lager sieht das Risiko und greift zu dem alten Trick von Gut oder Böse. Der Präsident will eine Richtungsentscheidung. Nur so kann er verhindern, dass die Wahl eine Abstimmung über seine Bilanz wird. Der erste schwarze Captain America würde verlieren. Alterssicherung, Wohneigentum, Arbeitsplätze, Steuergerechtigkeit, Bildung, Staatsverschuldung - bei zentralen Themen gibt es keinen Fortschritt, der nachhaltig bei den Bürgern ankommt. Obamas Strategie, Mitt Romney mit Hilfe einer Reiche-Socken-Kampagne als Pfeffersack zu zeichnen, der Wall Street mit Steuergeschenken hoffiert und den Armen im Hinterhof die Essensmarken und die Stütze streicht, ist riskant und ein Offenbarungseid sowieso. Vor vier Jahren hat der große Versöhner versprochen, er werde Brücken über die hässlichen ideologischen Gräben im Land schlagen. Nun vertieft er die Kluft, um eine zweite Amtszeit zu bekommen. Man mag einwenden, dies sei nach der Radikalisierung der Republikaner durch ihren Rabauken-Flügel der "Tea Party"-Bewegung machtstrategisch geboten. Die große soziale Frage, vor der Amerika steht, löst der absehbar bitterböse Lagerwahlkampf nicht. Anstatt darüber zu reden, wie das Versprechen von der gesellschaftlichen Mobilität für alle in einer globalisierten Welt eingelöst werden kann (und wer dafür bezahlt), wird der politische Gegner vernichtet. Aufrichten an Amerika - das ist vorbei.

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