Neue Westfälische (Bielefeld): Kommentar Schwaches Wirtschaftswachstum Neue Werte gesucht HANNES KOCH, BERLIN
Bielefeld (ots)
Ein Drama ist es nicht, dass das deutsche Wirtschaftswachstum in diesem Jahr mit weniger als einem Prozent gering ausfällt, handelt es sich doch vermutlich um ein Tal zwischen zwei Bergen. Sorgen muss man sich eher darüber, dass die Wachstumsraten der alten Industrieländer im Verlauf der Jahrzehnte insgesamt sinken. Auf die möglichen Folgen dieses Prozesses ist unsere Gesellschaft bislang kaum vorbereitet. In der "Enquetekommission Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität" des Bundestages wird seit fast zwei Jahren nach Antworten gesucht. Eine Variante der künftigen Entwicklung ist diese: Wenn es weniger Zuwachs zu verteilen gibt, müssen sich manche Bevölkerungs- und Interessengruppen darauf einstellen, dass ihr materieller Wohlstand weniger wächst als heute - oder dass er stagniert. Für den Verzicht auf größeren materiellen Fortschritt, wie er seit den 1950er Jahren üblich war, verlangen die Bürger aber einen Ausgleich. Irgendetwas muss schließlich von Generation zu Generation besser werden, sonst würden die Neugier und die Kreativität von Millionen Menschen ins Leere laufen. Vielleicht freuen sich die künftigen Beschäftigten über mehr Freizeit, eine neue individuelle Gestaltbarkeit ihres Arbeitslebens, wahrscheinlich beanspruchen sie bessere Bildungseinrichtungen, Sozialdienste und kulturelle Angebote. Das wiederum könnte mehr öffentliches Geld kosten. Auch die Unternehmen müssen dann mehr Steuern zahlen, auch sie haben weniger Mittel zur Verfügung. Kommt es so, deutet sich eine Verschiebung von Werten und Zielen an - eine Relativierung materiellen Zuwachses zugunsten anderer Arten von Lebensqualität. Um diese einzuschätzen, brauchen wir aber auch neue Maßstäbe. Das Bruttoinlandsprodukt, die wertmäßige Summe der produzierten Güter und Dienstleistungen, reicht dann nicht mehr aus.
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