Neue Westfälische (Bielefeld): Nordkoreas Provokationen Der Krieg der Worte DIRK HAUTKAPP, WASHINGTON
Bielefeld (ots)
Täglich dreht sich im Nordkorea-Konflikt die Eskalationsschraube weiter. Täglich wird ein Affront mit dem nächsten getoppt. Täglich wächst die Gefahr eines Kriegsausbruchs mit unübersehbaren Folgen. Und täglich klafft die Schere zwischen dem, was Amerika sagt, und dem, was es tut, weiter auseinander. Das Prinzip der "strategischen Geduld", mit der Nordkorea bislang wie ein pubertierender Rabauke mitleidig ignoriert und nur ab und an gemaßregelt wurde, steht vor seiner härtesten Bewährungsprobe. Das Prinzip geht so: Alle Jahre wieder produziert das isolierte Nordkorea absichtlich eine Krise. Es testet die Schmerzempfindlichkeit seiner Nachbarn. Und die Amerikas. Früher oder später wird es Amerika zu bunt. Man droht zurück. Das kleine Nordkorea schwenkt auf Verhandlungskurs um und lässt sich das Einlenken mit Finanzhilfen und anderen Konzessionen vergelten. So war es meistens. Bis Obama kam und sich nicht länger erpressen lassen wollte. Seither treibt Nordkorea das Krisenmachen auf die Spitze. Das alles in Harakiri-Tonlage. Verrückt, aber wahr. Offiziell wiegelt das Weiße Haus auch diesmal ab. In Wahrheit stellen sich die USA darauf ein, dass Pjöngjang diesmal wirklich losschlagen könnte. Nicht sofort nuklear, was einem Selbstmord gleichkäme. Und auch nicht mit Zielen auf dem amerikanischen Festland im Visier. Dazu reicht der Arm der Raketenbauern nicht weit genug. Aber vor der Haustür, in Südkorea, vielleicht in Japan oder auf Inseln mit amerikanischer Präsenz, kann genug Schaden angerichtet und eine unheilvolle Dynamik in Gang gesetzt werden. Die vom Pentagon angeordnete Verlegung spezieller Raketenabwehrsysteme und Kriegsschiffe in die Region spricht für sich. Mit dem Absegnen eines Atomangriffs auf amerikanische Territorien hat Nordkorea die rote Linie überschritten. Die Geste ist nur noch durch ihre Realisierung steigerungsfähig. Ohne Realisierung steht das Regime innen- wie außenpolitisch als Maulheld da. Die Gefahr, dass sich der hoch pokernde Kim Jong Un den gesichtswahrenden Rückweg verbaut und so eine Kurzschlussreaktion der Militär-Clique begünstigt, ist real. Vermutung: Nordkorea will unter Führung des durch europäische Schulen gegangenen Diktator-Lehrlings trotz missmutiger Blicke Chinas und Russlands mittelfristig als Atommacht auf Augenhöhe wahrgenommen werden. Getreu der von der NATO im Kalten Krieg nicht ohne Fortüne verfolgten Devise, dass am Ende des Tages nur Atomwaffen wirklich abschrecken. Ohne direkte Verhandlungen, ohne die Aufgabe falschen Stolzes wird Amerika dem Problem nicht beikommen, geschweige denn herausfinden, ob sich Kim Jong Un mit dem Streben nach der Atomwaffe nach innen den Weg zu dosierten Wirtschaftsreformen öffnen will, die das Land aus dem Steinzeitalter führen könnten. Im Atomkonflikt mit dem Iran bietet sich Washington seit Monaten wie sauer Bier als direkter Gesprächspartner an, um die Mullahs zur Einkehr zu bewegen. Warum nicht auch in Pjöngjang? Alles ist besser als die Alternative: Krieg.
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