Neue Westfälische (Bielefeld): KOMMENTAR Machtkampf am Nil Offenes Rennen BERNHARD HÄNEL
Bielefeld (ots)
Wie immer der Machtkampf zwischen Präsident Mursi und dem Militär in diesen dramatischen Stunden und Tagen am Nil ausgeht, die Zukunft des 80-Millionen-Volkes bleibt ungewiss. Denn die Macht kommt längst nicht mehr allein aus den Gewehrläufen. Zwei Gegengewichte müssen die Militärs bei ihren Entscheidungen einkalkulieren, ob sie nun putschen oder sich für die Einsetzung einer Übergangsregierung entscheiden. Weder die Muslimbrüder und schon gar nicht die Salafisten werden die errungene Macht kampflos abgeben. Mit dem Koran in der Hand werden sie sich Panzern und Soldaten entgegenstellen. Wenn nicht heute, dann in Tagen oder Wochen. Sie haben Geduld gelernt in den Jahrzehnten der Unterdrückung und Illegalität. Der zweite Faktor sind die Straßen und Plätze des Landes. Die dort versammelten Demonstranten mögen sich im Ziel eines Sturzes des erfolglosen Präsidenten Mursi einig sein. Darüber hinaus sind sie zerstritten wie eh und je. Potenzielle Märtyrer wie bei den Islamisten sind in ihren Reihen weniger zu finden. In Ägypten wächst, kaum wahrgenommen, ein zartes Pflänzchen der Demokratie. Fünf Jugendliche reichten, um über Facebook, Twitter und auf Papier weit über 20 Millionen Stimmen zu sammeln, die Mursis Abdankung verlangen. Binnen weniger Tage haben so die Stimmlosen eine Stimme bekommen. Eine Zivilgesellschaft bildet sich heraus. Kluge Militärs würden Mursi einmauern in einem Präsidialrat. Denn er ist durch freie Wahlen legitimiert. Sein Problem ist, dass er eine Marionette des Zentralkomitees der Muslimbrüder ist. Er ist ihr Werkzeug bei der Islamisierung Ägyptens. Zudem ist fraglich, ob das Militär tatsächlich eine Verfassung aushebeln wird, die ihm erlaubt, Staat im Staate zu sein. Mit geheimem Haushalt und eigener Wirtschaftskraft.
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