Neue Westfälische (Bielefeld): Wirtschaft im Alltag Gefühlssache stefan schelp
Bielefeld (ots)
Wirtschaft? Das sind doch nur nackte, kalte Zahlen. Umsatzsteigerung. Gewinneinbruch. Abgeschmolzene Dividende. Vergrößerte Eigenkapitalquote. Wirtschaft ist nun mal nichts, was den Menschen nahegeht. Falsch. Denn Wirtschaft war im vergangenen Jahr vor allem eines: Emotion. Hand aufs Herz - wer hätte nicht die Luft angehalten angesichts des Urteils gegen Thomas Middelhoff, den Ex-Bertelsmannboss, Ex-Karstadtchef, Ex-Investmentbanker und Neuhäftling? Niemand hatte doch wirklich damit gerechnet, dass der Manager direkt aus dem Gericht ins Gefängnis gehen müsste. Und dies seitdem nicht wieder verlassen hat. Ein ums andere Mal ist seine Haftbeschwerde abgelehnt worden. Zuletzt, weil sich ein chinesisches Visum in seinem Reisepass fand. Middelhoffs Kollegen aus der deutschen Managementelite werden sich nicht lange mit dem Mitleidsgefühl für den gestürzten Helden aufgehalten haben. Angst und Schrecken haben sich stattdessen ihren Weg zu den Großen der Wirtschaft gebahnt. Die Erkenntnis, dass die überbordende Nutzung von Jets und das Abrechnen von Festschriften auch zivilrechtlich geklärt werden können, hat, so ist zu hören, vielerorts für Unruhe gesorgt. Möglicherweise sogar für ein Umdenken. Das wäre dann ausbaufähig - auch wenn es für Middelhoff ein schwacher Trost in seiner Einzelzelle ist. Emotion pur sind natürlich auch die Familienfehden der Oetkers und der Tönnies'. Wobei die Oetkers sich immerhin noch mit einem Schiedsgericht begnügen, um die Streitereien um Strategie und Machtfolge auszutragen. Onkel und Neffe Tönnies sind dagegen gleich vor den "richtigen" Kadi gezogen. "Grober Undank" ist das Stichwort. Ein juristischer Terminus mit emotionalem Tiefgang. Oetker oder Tönnies - in beiden Fällen geht es um Macht, aber auch um gekränkten Stolz, um Eifersucht. Große Gefühle. Und um deren Folgen. Im Fall Tönnies stehen interessierte Beobachter längst bereit, um hinter einem zerschlagenen Konzern "herzuputzen", sollte der durch eine gegenseitige Blockade der streitenden Verwandten handlungsunfähig werden. Und bei Oetker ist die Fusion der Oetker-Reederei Hamburg Süd mit Hapag-Lloyd gescheitert. Der Zusammenschluss hätte die vereinigten Reeder an die Weltspitze geschwemmt. Eine komfortable Situation, um den Stürmen im Geschäft auf den Weltmeeren zu trotzen. Ersatzkooperationen mussten her. Soll doch niemand behaupten, Entschlüsse der großen Entscheider der Wirtschaft basierten einzig und allein auf Zahlen. Middelhoff, Tönnies, Oetker - das ist doch eine ganz andere Welt, sagen Sie? Für Sie spielen Emotionen in ganz anderen Situationen eine Rolle? Zum Beispiel an der Zapfsäule. Manch einer, der in den vergangenen Jahren Tränen der Wut hatte, wenn er Sprit in den Autotank laufen ließ, verdrückt sich jetzt eine Freudenträne, weil die Euroanzeige an der Zapfsäule nicht mehr so viel schneller läuft als die Literanzeige für den Superkraftstoff. Glücksgefühle tanken - auch das ist Wirtschaft. Hoffen wir also in vielfacher Hinsicht auf ein glückliches neues Jahr.
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