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Neue Westfälische (Bielefeld): Kommentar Rente mit 70 Höchste Zeit CARSTEN HEIL

Bielefeld (ots)

Endlich kommt Bewegung in die Debatte um die Rente. Es geht sogar in die richtige Richtung, auch wenn die Schwierigkeiten bei der Rente mit 70 im Detail liegen. Wenn jetzt Frank-Jürgen Weise als Chef der Bundesagentur für Arbeit Anreize dafür vorschlägt, erst später in den Ruhestand zu gehen, ist er zunächst Arbeitgeberinteressen unverdächtig. Er hat den gesamten Arbeitsmarkt im Blick und gilt nicht als Schlagzeilen-Schinder, eher als besonnen. Sein Vorschlag zielt in Richtung mehr Flexibilität und Individualität. In der Vergangenheit gab es meist nur starre Vorschriften zum Thema Rentenbeginn, die den Vorstellungen und vor allem den Bedürfnissen der einzelnen Menschen nicht gerecht wurden. Wollte oder musste jemand aus gesundheitlichen Gründen eher sein Berufsleben beenden als gesetzlich vorgesehen, wurde er mit Strafmaßnahmen in Form von Rentenkürzungen traktiert. Länger zu arbeiten ging so gut wie gar nicht, weil zum Teil auch Tarifverträge dagegen sprachen. Nun muss eine größere Beweglichkeit in den Arbeitsmarkt einziehen. Und genau damit argumentiert Weise. Er sieht genau den Druck, der durch die demografische Entwicklung entstehen wird. Der Facharbeitermangel beginnt schon heute zum größten Problem für die deutsche Wirtschaft zu werden. In spätestens 10 bis 15 Jahren, wenn die Babyboomer sich zur Ruhe setzen, wird sich die Situation verschärfen. Zumal die von der Großen Koalition neu geschaffene "Rentenregelung mit 63" nach 45 Beitragsjahren diesen Druck noch erhöht. 186.000 Anträge auf diese Frührente liegen vor, deutlich mehr als von der Bundesregierung prognostiziert. Viele von diesen Menschen würden noch gebraucht. Es wäre im Sinne Weises sicher richtig, wenn sich eine längere Lebensarbeitszeit überproportial positiv auf die spätere Rentenzahlung auswirkte, da häufig Arbeitnehmer der unteren Gehaltsgruppen länger arbeiten müssen (jedenfalls nicht so leicht in Frührente gehen), weil sie sich den früheren Ruhestand finanziell schlicht nicht leisten können. Es wäre also auch eine kleine soziale Komponente eingezogen. Eines der angesprochenen Detailprobleme: Oft sind es gerade die schlecht bezahlten Mitarbeiter, die aus gesundheitlichen Gründen früher aufhören müssen. Ein anderes Problem aus Sicht der Chefs: Nicht jeden Mitarbeiter will ein Unternehmen bis zum 70. Geburtstag beschäftigen. Es darf kein Recht auf längere Beschäftigung geben. Das Konfliktpotenzial in den Unternehmen ist damit klar. Letztlich wird aber diese richtige Rentenoperation den Facharbeitermangel der Zukunft nicht beseitigen. Auch nicht, wenn die Produktivitätssteigerung einberechnet wird. Deshalb dürfen sich die Unternehmen nicht auf diese Lösung allein verlassen. Sie müssen erstens die Arbeitsbedingungen in den Mangelbranchen (zum Beispiel Logistik, Gesundheit, Bau) verbessern, Jobs und Bezahlung besser gestalten. Und zweitens sollten sie vor allem in die Ausbildung mehr Zeit und Geld investieren. Sie müssen sich mehr Mühe mit einzelnen Azubis geben, wie es auch der neue IHK-Präsident in Bielefeld, Wolf Meier-Scheuven, jüngst von seinen Kollegen gefordert hat. Darüber hinaus sind die Chancen von Frauen zu verbessern. Es reicht jedenfalls nicht, in Sachen spätere Rente ausschließlich nach dem Gesetzgeber zu rufen. Gleichwohl ist es höchste Zeit, auch über ein freiwilliges späteres Renteneintrittsalter zu reden.

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