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Neue Westfälische (Bielefeld): Kommentar Die Wähler sind unzufrieden mit der Regierung Anstrengende Demokratie Thomas Seim

Bielefeld (ots)

Die Arbeitslosigkeit verharrt seit Monaten auf einem Tiefstand. Inflation gibt es nicht. Die Lohnabschlüsse in den bisherigen Lohnrunden liegen 2016 höher als in den Vorjahren. Die Industriestaaten-Organisation OECD sieht nach 2015 auch für dieses Jahr stabile Wachstumsraten voraus. Kurz: Deutschland geht es gut. Die Deutschen allerdings fühlen sich nicht gut. Sie sind erkennbar unzufrieden mit ihrer Regierung. Die Koalition aus CDU, CSU und SPD bringt es nur noch knapp auf über 50 Prozent aller Stimmen. Die angebliche Alternative für Deutschland AfD liegt stabil über zehn Prozent. Das AfD-Programm findet seine größte Zustimmung bei Arbeitern und Arbeitslosen. Dort hat die Partei bei den vergangenen Landtagswahlen bis zu 40 Prozent der Stimmen sammeln können. Und das mit einem Programm, das größte Einschnitte für Arbeitslose vorsieht, das drastische Kürzungen bei den Hartz-IV-Empfängern plant und das die größten Entlastungen für Reiche durch eine Abschaffung von Erbschafts- und Vermögenssteuer und die Überprüfung der Gewerbesteuern für Firmen fordert. AfD will Umverteilung von Arm zu Reich Keine andere Partei sieht in ihrem Programm eine so erhebliche Umverteilung des so von ihr genannten "Volksvermögens" von Arm zu Reich vor. Und alles das garniert die Parteivorsitzende der AfD, Frauke Petry, mit der Erklärung, dass sie entspannter mit dem von den Nazis missbrauchten Wort "völkisch" umgehen wolle. Auch der Nazi-Begriff "entartet" geht ihr leicht von den Lippen. Was ist los in dieser Demokratie, dass über zehn Prozent der Deutschen dieser "völkischen" Partei hinterherrennen, deren thüringischer Landesvorsitzende Höcke öffentlich erklärt, es gehe darum, beim Volksvermögen innen gegen außen zu verteidigen? Wie kann es sein, dass eine Partei, deren Programm darauf zielt, "Volksvermögen" von unten nach oben zu verteilen, mit der einfachen Parole, sie verteidige "innen" gegen "außen" so erfolgreich ist? Die Demokraten scheinen müde geworden zu sein. Die Antworten der Regierungs- und Bundestagsparteien sind differenziert und kompliziert. Die Menschen, die AfD wählen, erreichen sie nicht. Die Internationalität und Komplexität der Politik führt dazu, dass Kanzlerin und Vize-Kanzler sich oft in Situationen bewegen, die nur noch wenige eigene Einflussmöglichkeiten zulassen. SPD-Chef Sigmar Gabriel immerhin verteidigt die Politik der Mitte neuerdings mit dem Hinweis, dass diese Mitte nicht nur durch ein Links und ein Rechts, sondern auch durch ein Oben und Unten gekennzeichnet sei. Da winkt die Partei des "Kleinen Mannes". Der allerdings hat sich zunächst abgewandt und hört die Signale (noch) nicht - die SPD verharrt bei etwa 20 Prozent. Die Kanzlerin wiederum hat zu lange und zu oft davon gesprochen, dass Entscheidungen "alternativlos" seien. Das war ein schwerer Fehler. Alternativlose Politik benötigt eigentlich keine Demokratie. Was alternativlos ist, muss nicht per Mehrheit entschieden werden und offenbart deshalb die Macht- und Einflusslosigkeit der Wahlbürger. Das treibt die Menschen fast notwendig in die Arme von angeblichen Alternativen - auch wenn sie antidemokratisch wirken oder gegen die Interessen dieser Menschen gerichtet sind wie die AfD. Ungefährlich ist das nicht für die Demokratie. Dem nächsten deutschen Bundestag werden mit hoher Wahrscheinlichkeit sechs oder mehr Parteien angehören - von ganz rechts bis ganz links. Einfacher macht das das Regieren auch dann nicht, wenn es zu einer neuen großen Koalition reichen sollte. In der ersten deutschen Republik von Weimar hat die Entfernung von regierender Politik zu den Bürgern im Land letztlich zur Zerstörung des Systems und zur Etablierung einer Diktatur geführt. Diese Entfernung muss wieder verkürzt werden. Denn auch mit Internet wären Weimarer Verhältnisse nicht weniger bedrohlich. Im Gegenteil: Gerade die AfD ist in den sozialen Netzwerden inzwischen sogar erfolgreicher als die etablierten Parteien. Aber die Demokratie der Bundesrepublik ist auch in der Lage, durch Kritik stärker zu werden und zu wachsen. Demokratie ist anstrengend - ja. Sie macht müde - ja. Aber Kinder sind auch anstrengend. Und sie machen auch müde. Trotzdem sind sie das Beste, das Eltern erleben dürfen.

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