Neue Westfälische (Bielefeld): Juncker schildert seine Vision für die EU Eine Frage des Zeitpunkts Martin Fröhlich
Bielefeld (ots)
Sie war mit Spannung erwartet worden, die Rede von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Sie ist dieser Spannung gerecht geworden. Juncker hat klare Worte gefunden: Einigkeit statt Spaltung, eine feste Haltung zur Türkei, Angleichung der Standards in West und Ost, die Ausweitung des Schengenraums, legale Migration und den Euro für alle EU-Länder. Juncker zeigt den Reformwillen, den die EU so lange vermissen ließ. Doch muss ein Stirnrunzeln gestattet sein. Seine Worte waren von jener Euphorie durchdrungen, die schon die Gründerväter der Staatengemeinschaft prägte. Vom Glauben an ein Europa, das weltweit als Global Player auftritt - wirtschaftlich und politisch. Glaube und Euphorie haben, mit Verlaub, in der EU-Historie hier und dort den Blick auf Realitäten und Probleme vernebelt. Das hat Brüssel zum Beispiel in der Eurokrise bestürzt festgestellt. Hatte die EU etwa Länder in die Eurozone aufgenommen, die nie vorhatten, sich an die Spielregeln zu halten? Zuletzt zeigte in der Flüchtlingsfrage das Gebaren osteuropäischer Staaten, denen selbst EU-Urteile egal sind, dass die vielleicht zu schnelle Erweiterung der Gemeinschaft gen Osten auch eine Schattenseite hat. Nun spricht Juncker wieder von Erweiterungen, unter anderem beim Euro-Raum. Wachsen um jeden Preis, hört man als Devise heraus. Doch haben wir dafür den richtigen Zeitpunkt? Oder muss nicht zunächst der Kern der EU stabilisiert werden? Die Briten treten aus, in vielen Staaten wird europafeindlich gewählt. Und Brüssel ruft: Wir müssen größer werden. Hier ist Vorsicht geboten. Sonst setzen die EU-Architekten ein neues Stockwerk auf ihr Haus, während unten tiefe Risse das Fundament durchziehen. Das wäre fatal, denn die EU lohnt sich.
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