Neue Westfälische (Bielefeld): Neuwahl oder Minderheitsregierung Mehr Raum für Demokraten Jörg Rinne
Bielefeld (ots)
Die Berliner Spitzenpolitik mag sich weitgehend nicht mit unklaren Verhältnissen abfinden. Nur so ist zu erklären, dass nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen bereits ein Termin für eine mögliche Neuwahl kursiert. Der 22. April 2018 wurde als passendes Datum gefunden. Auf ein Neues also? Es gibt auf den ersten Blick gute Gründe, die Wähler nach nur sieben Monaten wieder an die Urne zu bitten. Denn der Unmut über die Große Koalition aus Union und SPD - ausgedrückt im Wahlergebnis vom 24. September - hat die Parteienlandschaft im Bund so zersplittert, dass eine Kommunikation über gemeinsame politische Handlungsfelder in einer Regierungskoalition derzeit nicht möglich erscheint. Bringt eine Neuwahl also neue Möglichkeiten? Die zerstrittenen Schwestern der Union hängen immer noch ihrem Anspruch einer allumfassenden Volkspartei nach. Das schlechteste Wahlergebnis seit 1949 spricht allerdings eine andere Sprache. CDU und CSU müssen nach außen weitgehende Kompromisslinien beschreiten, um ihre Führungsrolle auch nur ansatzweise behalten zu können. Wahlprognose: maximal stabil. Da treffen sie bei den Grünen noch am ehesten auf willige Koalitionäre. Für den Weg an die Macht sind die Spitzen der neuen Bürgerlichen bereit, rote Linien zu überschreiten. Ob aber diese Strategie die Zustimmung der streitlustigen Parteibasis findet, steht noch auf einem ganz anderen Blatt. Wahlprognose: leichte Gewinne. Die FDP hat gezeigt, dass sie nicht regierungsfähig aufgestellt ist. Parteichef Christian Lindner trägt noch das Trauma der letzten schwarz-gelben Koalition in sich. Der damalige Generalsekretär der Liberalen erlebte hautnah, wie Kanzlerin Angela Merkel den kleinen Partner schredderte, was am Ende zum Ausscheiden der FDP aus dem Bundestag führte. Und dafür möchte er Vergeltung. Wahlprognose: Verluste. Die SPD sucht noch ihre neue Position in der Parteienlandschaft. Sie will aktuell nicht als merkelscher Notnagel funktionieren. Und spielt deshalb auf Zeit in der selbstgewählten Opposition. Wahlprognose: leichte Gewinne. Was bleibt also unterm Strich? Die Situation wird sich erwartungsgemäß auch im April 2018 nach Auszählung aller Stimmen im wesentlichen nicht verändert haben. Das sehen die findigen Parteistrategen in Berlin natürlich längst so. Deshalb ist immer öfter und offener das Schlagwort Minderheitsregierung zu vernehmen. Selbst die Kanzlerin - obwohl kein Fan - will diese Tür nicht voreilig zuschlagen. Und es gibt tatsächlich gute Gründe für eine Regierung, die sich ihre Mehrheit im Parlament immer wieder neu suchen muss. Es ist mühsamer, aber die skandinavischen Länder Dänemark, Schweden oder Norwegen haben es vorgemacht: Politische Debatten werden offener geführt, wichtige Reformen werden als Kompromisse von breiten Mehrheiten getragen. Es gibt mehr Raum für Demokraten. Angesichts der festgefahrenen aktuellen Situation in Berlin bietet das Projekt Minderheitsregierung allen Parteien zudem die Möglichkeit, sich auf die veränderten politischen Anforderungen einzustellen - inhaltlich wie personell. Und dafür dürften alle Lager mehr Zeit benötigen als bis zum 22. April 2018.
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