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Kein Aufschub
Leitartikel von Jens Kleindienst zum Klimagipfel

Mainz (ots)

Nun werden sie wieder tagen: Zum 27. Mal treffen sich Politiker, Wissenschaftler und Aktivisten, um zwei Wochen lang über den globalen Klimaschutz zu verhandeln, diesmal in Ägypten. Die Weltklimakonferenz mit dem Kürzel COP27, die am Sonntag in Scharm el Scheich beginnt, steht unter keinem guten Stern. Der Optimismus, der vor einem Jahr nach Glasgow herrschte, weil dort erstmals der weltweite Kohleausstieg ins Abschlussdokument aufgenommen worden war, er ist verflogen. Diesmal, so heißt es, wäre es schon ein Erfolg, wenn es ein Abschlussdokument gäbe. Die Ursache für den Klima-Blues liegt auf der Hand. Der Krieg Russlands gegen die Ukraine hat praktisch alle anderen Themen von der Welt-Agenda geschubst und zahlreiche diplomatische Kanäle verstopft. In der europäischen Energiekrise, auch sie eine Folge des Krieges, sehen sich viele Staaten gezwungen, vorübergehend zu Kohle, Öl und Gas zurückzukehren, was wiederum in etlichen Lieferstaaten eine neue Goldgräberstimmung ausgelöst hat. Zu allem Überfluss ist China, längst der größte CO2-Emittent, klimapolitisch wieder abgetaucht. Derweil schreitet die Erwärmung ungebrochen voran, ja sie beschleunigt sich. Statt der in Paris vereinbarten 1,5 Grad bis zum Ende des Jahrhunderts marschieren wir derzeit auf 2,5 bis 3 Grad zu - mit absehbar schlimmen Folgen. Hat es da noch Sinn, über Klimaziele zu reden? Aber ja! Zum einen deshalb, weil jede einzelne Maßnahme hilft, die der Erwärmung gegensteuert. Zwei Grad sind schlechter als 1,5 Grad, aber besser als drei Grad. Das klingt banal, zeigt aber: Handeln lohnt sich immer. Außerdem gibt es in all der Düsternis auch Lichtblicke. Die EU hat ihre CO2-Emissionen zwischen 1990 und 2020 um 31 Prozent zurückgefahren. Und sie hat sich zu einer Reduktion um 55 Prozent bis 2030 verpflichtet. Das ist kein leeres Versprechen, sondern mit dem Instrument des Zertifikatehandels hinterlegt, der den CO2-Ausstoß Jahr für Jahr verteuert und damit den Umstieg erzwingt. Die USA haben unter Präsident Biden ein riesiges Klimaschutzpaket verabschiedet. Auch die gestiegenen Preise für Gas und Öl haben ihr Gutes: Sie machen Erneuerbare Energien finanziell attraktiv. Die Technik für den Umstieg zu einem CO2-neutralen Wirtschaften hat die Menschheit längst entwickelt; sie muss sie nur anwenden. Sogar das 1,5-Grad-Ziel ist noch erreichbar, sagt die Wissenschaft. Das Handeln duldet allerdings keinen Aufschub mehr. Es lohnt sich, dafür zu kämpfen, auch zu demonstrieren. Was nicht hilft, sind Attacken der selbst ernannten "Letzten Generation" auf alte Gemälde und apokalyptische Prophezeiungen, denen zufolge der Weltuntergang unmittelbar bevorsteht.

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