Friedenszeit?
Friedrich Roeingh zum Osterfest
Mainz (ots)
Erbitterter Stellungskrieg in der Ukraine; weiter nur Waffenlieferungen statt dem Austausch von Depeschen; eine greifbare Eskalation der Gewalt in Palästina nach der israelischen Stürmung der Al-Aksa-Moschee auf dem Jerusalemer Tempelberg: Zu Ostern im Jahr 2023 scheint Frieden in Europa und im sogenannten Heiligen Land in weitere Ferne zu rücken, als dass er uns näher rückt. Und selbst in dieser schrecklichen Lage werden die Ostermarschierer voraussichtlich nur einen Abklatsch der vor einigen Wochen von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer angeführten Großdemonstration auf die Beine stellen können. Was für eine Zeit, in der die Religionen - zumindest in ihren fundamentalistischen Ausprägungen wie bei den an der israelischen Regierung beteiligten Orthodoxen und beim Moskauer Patriarchat - eher Treiber von Krieg und Gewalt als Bewahrer des Friedens sind. Was für eine Zeit, in der der Pazifismus offenbar keine Antworten auf einen faschistoiden Imperialismus à la Putin findet - gar nicht finden kann. Wertlos ist die Mahnung nach Frieden deshalb keineswegs. Wo kämen wir auch hin, wenn es in einer Situation wie dieser keine Kräfte und keine Stimmen gäbe, die die Regierung und die Bevölkerung gemahnen, dass immer mehr Waffen und Gewalt per se keine Instrumente des Friedens sind. Das ändert freilich nichts an der brutalen Logik des großrussischen Imperialismus, wie ihn Wladimir Putin trotz aller militärischen und politischen Niederlagen - wie zuletzt dem Nato-Beitritt Finnlands - verkörpert. Ob, wann und welche Chancen es auf Frieden in der Ukraine geben wird, kann jedenfalls nicht von einem diffusen Wunsch nach Frieden abhängen. Oder davon, dass wir den inflationären Preis leid sind zu bezahlen, den uns der (Energie)Krieg mit Russland abverlangt. Randbemerkung dazu: Eine möglichst behutsame Befreiung aus der übermäßigen wirtschaftlichen Abhängigkeit von China wird den europäischen Gesellschaften - und der deutschen im Besonderen - aller Voraussicht nach weitere Wohlstandsopfer abverlangen. Wie viele Menschenleben dieser Krieg noch kosten soll, müssen aber in erster Linie die Ukrainerinnen und Ukrainer entscheiden, deren Männer, Väter, Söhne und Freunde in diesem Kampf um ihre Freiheit und gegen die Unterjochung in einem Terrorstaat ihr Leben lassen. Diejenigen Ukrainer, deren Kinder nach Russland verschleppt und zwangsadoptiert wurden. Wann die Zeit reif für einen Waffenstillstand ist, kann sich nicht an der Stimmungslage in Deutschland bemessen. Ob die Zeit für ein Ende dieses Krieges reif ist, muss viel eher aus der Perspektive von Moldawien und Georgien, aus der Perspektive Estlands, Lettlands und Litauens betrachtet werden. Das festzuhalten bedeutet nicht, dass nicht fortlaufend das Gespräch mit dem Aggressor im Kreml gesucht werden müsste. Das geschieht ja - unmittelbar oder mittelbar über Gespräche mit dem Großen Bruder in Peking. Es bedeutet nicht, dass die Bündnispartner der Ukraine nicht ein entscheidendes Wort mitzureden hätten, wann es Zeit für Verhandlungen und einen Waffenstillstand ist. Und es bedeutet auch nicht, dass am Ende die Maximalposition der Ukraine aufrechtzuerhalten wäre, jeden Meter Boden im Donbass und auf der Krim zurückzugewinnen. Das weiß auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, dessen Berater fast zur Unzeit erste Anzeichen für Kompromisslinien sendet. Was es zu einem Frieden in der Ukraine aber zwingend braucht, ist die Bereitschaft Russlands, von seinen imperialistischen Ansprüchen abzukehren, von denen in keiner Weise der Wohlstand des Riesenreiches und auch nicht zwingend seine Stabilität abhängt. Ob eine solche Wende mit oder ohne Wladimir Putin möglich sein wird, kann derzeit niemand beantworten. Nein, Ostern ist in diesem Jahr leider kein Fest des Friedens. Wohl denen, die daran glauben, wenigstens um Frieden beten zu können.
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