Alle Storys
Folgen
Keine Story von NDR Norddeutscher Rundfunk mehr verpassen.

NDR Norddeutscher Rundfunk

"Panorama": Fünf Jahre hinter Gittern - Staatsanwaltschaft verschwieg entlastendes Material" Sendung: Donnerstag, 25. Juni, 21.45 Uhr

Hamburg (ots)

Fünf Jahre lang saß Ralf Witte im Gefängnis -
vielleicht völlig unschuldig. Jetzt musste er erst einmal 
freigelassen werden, denn es stellte sich heraus: Die 
Staatsanwaltschaft Hannover hatte entlastendes Material 
zurückgehalten. Wittes neuer Verteidiger, der Hamburger Anwalt Johann
Schwenn, spricht von einem "Justizskandal".
Ralf Witte war von dem damals 15-jährigen Mädchen Jennifer W. im 
Jahr 2001 beschuldigt worden, sie mehrfach brutal vergewaltigt und 
dabei entjungfert zu haben. Witte wurde daraufhin vom Landgericht 
Hannover zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Jahren und acht Monaten 
verurteilt. Das Landgericht Lüneburg hat jetzt aber die sofortige 
"Unterbrechung der Vollstreckung" angeordnet. Der 45-jährige Witte 
konnte nun, nachdem er bereits fünf Jahre gesessen hat, die 
Justizanstalt Sehnde bei Hannover verlassen. "Es gibt inzwischen 
Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Hauptbelastungszeugin", also 
Jennifer W., sagte Bernd Gütschow, Sprecher des Landgerichts 
Lüneburg, gegenüber dem ARD-Magazin "Panorama" vom Norddeutschen 
Rundfunk.
Drei Monate nach der Verurteilung von Ralf Witte im Sommer 2004 
kam das vermeintliche Opfer Jennifer W. mit ganz neuen Aussagen, die 
ihre Glaubwürdigkeit erschütterten. So behauptete sie nun auf einmal,
schon seit ihrem achten Lebensjahr Opfer eines Mädchenhändlerrings 
gewesen zu sein. Sie sei über Jahre hinweg vergewaltigt und dabei 
gefilmt worden. Zudem habe sie miterlebt, wie Babys gegen die Wand 
geworfen und getötet worden seien.
Diese Angaben hat die Staatsanwaltschaft Hannover ergebnislos 
überprüft. Ihr gelang es weder, die Beschuldigten zu identifizieren 
noch den angeblichen Tatort zu lokalisieren. Diese erheblichen 
Zweifel tauchten bei der Staatsanwaltschaft auf, als das 
Revisionsverfahren beim Bundesgerichtshof noch nicht abgeschlossen 
war. Trotzdem leitete sie ihre Erkenntnisse nicht weiter.
Stattdessen hat die Staatsanwaltschaft Hannover das 
Ermittlungsverfahren dann über drei Jahre lang ruhen lassen.  "Wir 
haben in dieser Zeit immer wieder versucht, mit Jennifer W. weitere 
Gespräche zu führen, um konkretere Angaben über den 
Mädchenhändlerring zu bekommen. Das ist uns aber in dreieinhalb 
Jahren nicht gelungen", so die Sprecherin der Staatsanwaltschaft 
Hannover, Kathrin Söfker, gegenüber "Panorama". Inzwischen hat die 
Staatsanwaltschaft Hannover das Verfahren ergebnislos eingestellt.
Der Hamburger Anwalt Johann Schwenn nennt das Verhalten der 
Staatsanwaltschaft Hannover einen "Justizskandal". Die Ermittler 
hätten die Widersprüche zwischen beiden Aussagen nicht aufgeklärt. 
"Der verurteilte Ralf Witte kann Jennifer W. nicht entjungfert haben,
wenn das Mädchen tatsächlich schon seit ihrem achten Lebensjahr von 
einem Kinderhändlerring vergewaltigt worden sein will." Außerdem sei 
es nicht verständlich, dass die Staatsanwaltschaft Hannover über 
dreieinhalb Jahre die Ermittlungen habe ruhen lassen. "Wenn man die 
Aussagen der Zeugin auch nur möglicherweise für richtig hält, dann 
muss man bei diesen schweren Anschuldigungen mit Nachdruck 
ermitteln", so Schwenn gegenüber "Panorama". "Oder man glaubt ihr 
nicht, dann allerdings muss man die Glaubwürdigkeit der Zeugin auch 
insgesamt in Frage stellen. Das Verfahren einfach ruhen zu lassen, 
ist meiner Meinung nach versuchte Strafvereitlung, das Verschweigen 
der Vernehmung im Verfahren Witte halte ich für Rechtsbeugung." Die 
Staatsanwaltschaft Hannover weist diese Vorwürfe zurück.
Auch der möglicherweise zu Unrecht verurteilte Ralf Witte 
kritisiert die Staatsanwaltschaft Hannover scharf. "Das kommt einem 
Verbrechen gleich, dass man diese Aussage solange zurückgehalten 
hat", sagte er gegenüber "Panorama". "Spätestens seit dieser Aussage 
musste der Staatsanwaltschaft Hannover klar gewesen sein, dass das 
alles nicht sein kann, was Jennifer erzählt hat. Seitdem hat man mich
meiner Freiheit beraubt." Witte hatte die Taten immer bestritten und 
seine Unschuld beteuert.
Inzwischen hat auch das Landgericht Lüneburg eine neues 
Glaubwürdigkeitsgutachten über Jennifer W. erstellen lassen. Darin 
kommt der psychologische Gutachter Jörg Wiederhold zu dem Ergebnis, 
dass es "deutliche Zweifel an der Glaubwürdigkeit" der Zeugin gebe. 
In seinem Kurzgutachten, das "Panorama" vorliegt, schreibt er, dass 
die Angaben der Zeugin zum Mädchenhändlerring "möglicherweise falsch 
sind". Dies könne auch bedeuten, dass "sie auch in ihren früheren 
Aussagen (über Ralf Witte, Anm.) unter Umständen falsche Angaben 
gemacht habe".
Insgesamt wertete das Landgericht Lüneburg die nachträglichen 
Aussagen von Jennifer W. über den Mädchenhändlerring als neue 
Tatsache und erklärte damit die Wiederaufnahme des Verfahren von Ralf
Witte für zulässig.
24. Juni 2009

Pressekontakt:

NDR Norddeutscher Rundfunk
NDR Presse und Information
Telefon: 040 / 4156 - 2300
Fax: 040 / 4156 - 2199

Original-Content von: NDR Norddeutscher Rundfunk, übermittelt durch news aktuell

Weitere Storys: NDR Norddeutscher Rundfunk
Weitere Storys: NDR Norddeutscher Rundfunk
  • 19.06.2009 – 16:01

    Atomwirtschaft konnte seit 1969 auf Asse als Endlager bauen

    Hamburg (ots) - Meldung frei bei Nennung Quelle "NDR / Niedersachsen 19.30 das Magazin" Die deutsche Atomindustrie konnte bereits seit Ende der 60er-Jahre davon ausgehen, dass die Schachtanlage Asse als Endlager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle genutzt werden kann. Das geht aus einem Briefwechsel hervor, der exklusiv "Niedersachsen 19.30 das Magazin" vorliegt, dem Landesprogramm im NDR Fernsehen. ...

  • 19.06.2009 – 09:58

    Studie: tagesschau.de steht für Qualitätsjournalismus und Seriosität

    Hamburg (ots) - Das Internet-Angebot tagesschau.de wird von der überwältigenden Mehrheit seiner Nutzer als glaubwürdig, seriös, sachlich und politisch ausgewogen wahrgenommen. In einer aktuellen Online-repräsentativen Studie des in Hannover ansässigen Kommunikationsforschungsinstituts aserto im Auftrag des NDR zu Nachrichtenangeboten im Internet kam ...