Mutmaßlicher Lübcke-Mordhelfer: Rechtsextremist hatte legal Waffen
Hamburg (ots)
Der mutmaßliche Helfer beim Mord an Walter Lübcke durfte legal Waffen besitzen. Nach Recherchen von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung hat das Verwaltungsgericht Kassel 2015 entschieden, dass der als rechtsextrem bekannte Markus H. eine Waffenbesitzkarte mit Munitionsberechtigung erhalten darf. Markus H. habe in dem Sportschützenclub, in dem auch der mutmaßliche Mörder von Walter Lübcke Mitglied war, mit eigenen scharfen Waffen geschossen, teilte der Vorsitzende des Vereins mit. Ermittler gehen heute davon aus, dass Markus H. bis 2015 Kontakte in die rechtsextreme Szene hatte.
Markus H. sitzt seit dem 27. Juni in Untersuchungshaft. Der Generalbundesanwalt ermittelt gegen den 43-Jährigen wegen des Verdachts der Beihilfe zum Mord an Walter Lübcke. Er soll dem mutmaßlichen Mörder Stephan E. bei der Beschaffung der Tatwaffe geholfen haben.
Nach Recherchen von NDR, WDR und SZ hat Markus H. im August 2007 bei der Stadt Kassel eine Waffenbesitzkarte beantragt. Damals war H. als Rechtsextremist bekannt. Das Amtsgericht Kassel hatte H. 2006 wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen zu einer Geldstrafe verurteilt. Der Rechtsextremist hatte in einer Kasseler Gaststätte "Sieg Heil" skandiert und den Hitlergruß gezeigt. Die Stadt Kassel, die für die waffenrechtliche Erlaubnis zuständig ist, verweigerte daher eine Waffenbesitzkarte mit der Begründung, dem bekannten Rechtsextremisten fehle die erforderliche Zuverlässigkeit.
Im Juni 2012 beantrage Markus H. erneut eine Waffenbesitzkarte. Daraufhin wandte sich die Stadt Kassel an das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) in Wiesbaden und bat um Mitteilung, ob Erkenntnisse vorlägen, die waffenrechtlich relevant seien. Das LfV teilte mit, H. habe 2008 an einer Demonstration der rechtsextremistischen NPD teilgenommen und sei 2009 als Teilnehmer einer Demonstration von Rechtsextremisten in Dortmund wegen gefährlicher Körperverletzung und Landfriedensbruch festgenommen worden. Am 1. Mai 2009 hatten 400 Neonazis eine Demonstration von Gewerkschaftern attackiert. Das Verfahren gegen Markus H. wurde später allerdings eingestellt. Außerdem teilte das LfV der Stadt mit, dass H. sich unter dem Pseudonym "Stadtreiniger" in rechtsextremistischen Foren äußere. In einem dieser Foren soll sich der Rechtsextremist nach Recherchen von NDR, WDR und SZ damals bereits über das Beschaffen von Waffen ausgetauscht haben. Wegen seiner verfassungsfeindlichen Betätigung lehnte die Stadt Kassel den Antrag zum Erhalt einer Waffenbesitzkarte im November 2012 erneut ab.
Gegen diesen Bescheid klagte Markus H. 2013 beim Verwaltungsgericht Kassel und gewann schließlich 2015. Die Richterin begründete die Entscheidung damit, dass die vom hessischen Landesamt für Verfassungsschutz vorgelegten Erkenntnisse zu Markus H.s rechtsextremen Umtrieben älter waren als fünf Jahre. Laut Waffengesetz verfügen Rechtsextremisten nicht über die erforderliche Zuverlässigkeit zum Waffenbesitz. Die Erkenntnisse dazu dürfen aber nicht älter als fünf Jahre sein.
Der Verfassungsschutz in Hessen hatte der Stadt Kassel jedoch nur Informationen über H.s Aktivitäten in der rechtsextremistischen Szene von 2006 bis 2009 geliefert.
Als die Stadt 2015 den Verfassungsschutz nach neuen Erkenntnissen zu Markus H. anfragte, antwortete die Behörde in Wiesbaden, dass "keine weiteren Erkenntnisse" über H. vorliegen, "die gegen seine Zuverlässigkeit im Sinne des Paragraphen 5 des Waffengesetzes sprechen", heißt es im Urteil des Verwaltungsgerichtes vom März 2015. Somit sprach für das Gericht nichts mehr dagegen, dem Sportschützen H. eine Waffenbesitzkarte mit Munitionsberechtigung zu erteilen. Die Stadt Kassel stellte H. diese nach dem rechtskräftigen Urteil aus.
Nach Recherchen von NDR, WDR und SZ hat der Verfassungsschutz wichtige Erkenntnisse zu rechtsextremistischen Aktivitäten Markus H.s der Stadt Kassel nicht mitgeteilt. Unerwähnt blieb etwa die Teilnahme an einer rechtsextremistischen Demonstration in Dresden im Februar 2009. Fotos, die NDR, WDR und SZ vorliegen, zeigen Markus H. am Banner der Neonazi-Kameradschaft "Freier Widerstand Kassel". Nach den Recherchen soll Markus H. dieser Gruppierung, die mehrmals in Verfassungsschutzberichten erwähnt wurde, angehört haben - ebenso wie der mutmaßliche Lübcke-Mörder Stephan E. Auch die Zugehörigkeit zu dieser rechtsextremen Vereinigung wurde vom Verfassungsschutz nicht an die Waffenbehörde gemeldet. Unklar ist, ob der Verfassungsschutz Erkenntnisse darüber hatte, ob und wie lange Markus H. dem "Freien Widerstand Kassel" angehörte. Das hessische Landesamt für Verfassungsschutz wollte sich auf Anfrage nicht äußern.
Nach Recherchen von NDR, WDR und SZ wird Markus H. im laufenden Verfahren des Generalbundesanwaltes wegen Beihilfe zum Mord an Walter Lübcke durch eine Aussage belastet. Ein Zeuge aus dem persönlichen Umfeld von Markus H. soll ausgesagt haben, dieser sei ein Waffennarr gewesen. Er habe aus seiner rechtsextremen Gesinnung kein Hehl gemacht und den mutmaßlichen Lübcke-Mörder Stephan E. mit seinen scharfen Waffen schießen lassen. Der Schützenverein, in dem sowohl Markus H. als auch der mutmaßliche Haupttäter Stephan E. Mitglied waren, schloss die beiden am vergangenen Wochenende vorläufig aus dem Verein aus. Der Vorsitzende Reiner Wiedemann sagte gegenüber NDR, WDR und SZ dass Markus H. im Verein mit eigenen Waffen geschossen habe. Welche Schusswaffen H. besitzt, wisse er nicht. Die Stadt Kassel wollte sich unter Berufung auf den Datenschutz nicht zu der Waffenerlaubnis äußern. Im "Schützenclub 1952 Sandershausen" seien weder Markus H. noch Stephan E. als Rechtsextremisten aufgefallen, so der Vorsitzender Wiedemann.
Brisant ist auch ein weiteres Dokument, das der Rechtsextremist Markus H. von der Stadtverwaltung erhalten hat: Im Juli 2011 stellte die Stadt Kassel Markus H. eine "Unbedenklichkeitsbescheinigung" nach dem Sprengstoffgesetz aus. Diese Bescheinigung benötigt man etwa, um an einem Lehrgang für eine Sprengstoff-Erlaubnis oder einen "Befähigungsschein" für den Umgang mit explosionsgefährlichen Stoffen teilnehmen zu können. So könnte der von damaligen Gesinnungsgenossen als "Waffennarr" beschriebene Rechtsextremist auch mit Sprengstoff in Berührung gekommen sein.
Der Anwalt von Markus H. wollte sich auf Anfrage zu den Recherchen nicht äußern.
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