Hunderttausende Norddeutsche leiden dauerhaft unter Straßenlärm - trotz EU Richtlinien hängen viele Städte Vorgaben hinterher
Hamburg (ots)
Rund 261.000 Menschen sind in norddeutschen Städten jede Nacht gesundheitlichen Risiken durch Straßenverkehrslärm ausgesetzt. Alleine 130.000 Menschen davon leben in Hamburg. Das ergaben Recherchen des Magazins "Panorama 3" im NDR Fernsehen. Das Magazin fragte bei allen norddeutschen Städten mit mehr als 50.000 Einwohnern ab, wie viele Menschen an Hauptstraßen tagsüber eine dauerhafte Lärmbelastung von mehr als 65 dB(A) und nachts von mehr als 55 dB(A) hinnehmen müssen. Diese Daten liegen bei den Städten vor und wurden von "Panorama 3" ausgewertet.
Nach Angaben des Umweltbundesamtes und von Lärmforschern steigt bei dauerhafter Überschreitung dieser Schwellen das Risiko für negative gesundheitliche Auswirkungen deutlich. Permanenter Umgebungslärm bedeutet Stress, kann zu Schlafstörungen führen und birgt ein höheres Risiko um an einer Depression zu erkranken oder Schlaganfälle und Herzinfarkte zu erleiden. Vor allem Menschen an viel befahrenen Straßen sind so einem Dauerlärm ausgesetzt. Dieser Lärm kann schon ab einer Anzahl von 3000 Kraftfahrzeugen pro Tag erreicht werden, sagt Lärmforscher Michael Jäcker-Cüppers. Damit sei auch die Schwelle für erhöhte gesundheitliche Risiken erreicht.
Die Europäische Union mahnt ihre Mitglieder schon länger an, die negativen Folgen des Lärms zu mindern. Laut der EU-Umgebungslärmrichtlinie müssen große Ballungsräume mit mehr als 100.000 Einwohnern sowie Kommunen an Straßen mit mehr als drei Millionen Fahrzeugen pro Jahr Lärmkarten und sogenannte Lärmaktionspläne aufstellen. Darin soll festgehalten werden, wie die Lärmbelastung dauerhaft gesenkt werden soll. Eigentlich hätte der aktuellste Lärmaktionsplan bereits Mitte 2018 fertig sein sollen. Nach Recherchen von "Panorama 3" hat von den norddeutschen Städten mit mehr als 100.000 Einwohnern bislang nur Rostock diesen Plan beim zuständigen Umweltbundesamt eingereicht. Für Gesamtdeutschland hätten 70 Ballungsräume laut EU-Vorgaben diese Lärmaktionspläne vorlegen müssen. Neben Rostock sind dieser Vorgabe in Deutschland nur neun weitere Städte nachgekommen (Halle, Herne, Karlsruhe, Koblenz, Köln, Mainz, Mannheim, Potsdam und Saarbrücken). Weil bereits in der vorletzten Runde viele Kommunen keinen oder ungenügende Lärmaktionspläne eingereicht haben, hat die EU 2016 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland in Gang gesetzt, das noch immer nicht beendet ist.
Nach Hamburg leben in den norddeutschen Städten am meisten von Straßenlärm belastete Menschen in Hannover (25.600 Einwohner), Bremen (23.100 Einwohner), Osnabrück (14.980 Einwohner) und Braunschweig (10.700 Einwohner). Für sie alle gilt: In der Nacht liegt die Lärmbelastung durch Straßen bei 55 Dezibel (A) oder höher. Die EU Umgebungsrichtlinie schreibt jedoch nur vor, die Zahlen der Anwohner an Hauptverkehrsstraßen zu berücksichtigen.
Dass Verkehrslärm auf Dauer nicht hinnehmbar ist, ist eigentlich im Bundesemmissionsschutzgesetz festgeschrieben, zumindest für einen Teil der Verkehrswege. Für Straßen, die neu gebaut oder wesentlich verändert werden, gibt es klare Vorgaben: Zwischen 22.00 Uhr abends und 6.00 Uhr morgens sollen in Wohngebieten nur Lautstärken von 49 Dezibel (A) erreicht werden. Am Tage liegt die Schwelle bei 59 Dezibel (A). Dieser Wert gilt jedoch nicht für sogenannte Bestandstraßen - das sind alle Straßen, die vor 1974 gebaut und seitdem nicht mehr wesentlich verändert wurden. Damit bleibt Bürgern, die an lauten Bestandstraßen wohnen und eine Lärmminderung zum Beispiel durch Geschwindigkeitsreduzierung erreichen wollen, nur ein langer Weg über Behörden und oftmals Gerichte. Entscheidungen werden meist im Einzelfall getroffen.
Das für Lärm zuständige Bundesumweltministerium sieht für Änderungen offenbar keine große Dringlichkeit. Man halte die bestehenden Regelungen "weiterhin für sinnvoll", heißt es auf Anfrage von "Panorama 3". Das Verkehrsministerium verweist lediglich auf die EU-Umgebungslärmrichtlinie - doch auch diese schreibt keinen Grenzwert für Bestandstraßen vor.
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