Von Hildesheim nach Fidschi: Klaus Scherer auf den Spuren einer tragischen Familiengeschichte "Zwischen Zuckerrohr und Palmen: Unterwegs auf den Fidschi-Inseln":
Hamburg (ots)
Mittwoch, 28. Mai, 21.45 Uhr, NDR Fernsehen
Mitte März sendete das Erste die Reportage "Zwischen Zuckerrohr und Palmen: Unterwegs auf den Fidschi-Inseln". Anschließend erreichte Klaus Scherer, ARD-Korrespondent für Fernost und Studioleiter in Tokio, ein Brief: Ein Zuschauer hatte ein Grab, das in dem Bericht zu sehen war, als das seiner Großmutter identifiziert. Es entspann sich ein Briefwechsel zwischen Scherer und dem Zuschauer aus Hannover - der eine atemberaubende Lebensgeschichte offenbarte. Hier der Bericht von Klaus Scherer:
Bertha Machens, gestorben 1892, ist nur 20 Jahre alt geworden. Die Inschrift auf dem Stein ist noch gut lesbar. Der Zaun aus Schmiedeeisen aber ist lückenhaft, vom Südseewind verwittert. Der Blick vom Friedhof aus ist zeitlos schön: Von einem grünen Hang aus schaut man hinunter auf das Meer, die Weite des Pazifiks bis zum Horizont.
Der Grabstein mit dem deutschen Namen fand seinen Weg in die Reportage "Zwischen Zuckerrohr und Palmen: Unterwegs auf den Fidschi-Inseln". Den Namen der Toten hatte ich da schon vergessen. Wochen später erreichte mich über die Redaktion in Hamburg dann die Nachricht eines Zuschauers. Unser Film, schrieb er, zeige das Grab seiner Großmutter, die in Levuka am Kindbettfieber gestorben sei, kurz nach der Geburt ihres zweiten Kindes: "Mein Großvater, der in der Stadt ansässig war, brachte seine beiden Kinder wenige Jahre später nach Hildesheim zu seiner Schwester. Als Kindermädchen' nahm er einen Fidschianer mit, für dessen Rückkehr innerhalb eines Jahres er eine erhebliche Kaution hinterlegen musste." Die neuen Gesetze zur Vermeidung des Sklavenhandels hätten dies damals erfordert.
Da sich der Zuschauer, ein Volkswirt namens Florenz Müller-Machens aus Hannover, um den Zustand des Grabes sorgte, schickten wir ihm das komplette Drehmaterial vom Friedhof. "Vor zehn Jahren besuchte ich das Grab, das wir instand setzen ließen", schrieb er weiter. "Auf der Gemeindeverwaltung sagte man mir, die gemauerten Gräber der Europäer blieben erhalten, der Friedhof werde von der Gemeinde gepflegt. Geld wollte man nicht haben. Man sagte mir: Das sind wir den Menschen schuldig, die hier begraben sind und denen wir viel verdanken."
Nun entwickelte sich ein neuer Briefwechsel - zwischen Tokio und Hannover. Denn ich wollte wissen, wie denn sein Großvater auf die Fidschi-Inseln kam. Ich erhielt folgende Antwort:
"Mein Großvater Conrad Machens, das neunte von elf Kindern eines Landwirts in Ahrbergen bei Hildesheim", schrieb unser Zuschauer, "ging in die kaufmännische Lehre bei einer Großhandelsfirma in Hamburg. 1878 wanderte er mittellos nach Australien aus." Später habe er dort ein Pferdegespann erworben und Goldgräbersiedlungen mit Waren versorgt. "Nach einem schweren Unfall, bei dem die Bremsen des Gespanns versagt hatten, ging er 1881 als Filialleiter einer Niederlassung seiner alten Lehrfirma, der australischen Gesellschaft Hedemann & Co., auf die Fidschis." Wieder erarbeitete sich der Mann Wohlstand, wurde zunächst Teilhaber, dann Alleininhaber der Fidschi-Dependance, betrieb Import und Export, Zuckerrohrplantagen und schließlich eine Fischereiflotte.
Seine Braut, so Herr Müller-Machens, habe der Großvater auf einer Reise in die Heimat kennen gelernt. Sie sei die Tochter des Hildesheimer Friseurs und späteren Haarwasserherstellers Johannes Sebald gewesen. Im Jahre 1889 hatten sie geheiratet, dann gingen sie gemeinsam nach Levuka.
Jahre nach dem Tod seiner geliebten Gattin reiste Conrad Machens im Mai 1914 wieder nach Hildesheim, zur Hochzeit seiner Tochter. Die Rückreise aber wurde zur Odysee, die ihm wieder einmal alles nehmen sollte. "Mein Großvater", schreibt sein Enkel, "war noch auf dem Schiff, als der Erste Weltkrieg ausbrach: Der britische Gouverneur der Fidschis musste ihn als Deutschen internieren, ließ ihm aber Bewegungsfreiheit auf der Insel. Sein Vermögen wurde später beschlagnahmt und enteignet." 1915 habe er sich heimlich als Matrose eines Segelschiffes anheuern lassen und gelangte so über Amerika auf ein Passagierschiff Richtung Dänemark. "Nördlich der Faröer Inseln wurde der Dampfer von einem englischen Kriegsschiff aufgebracht. Obwohl alle deutschen Passagiere das Schiff verlassen mussten, gelang es ihm an Bord zu bleiben." Über Dänemark schlug er sich letztlich durch bis zurück nach Hildesheim.
Und blieb für immer: "Mein Großvater ist danach nie mehr in die Südsee gereist", schloss der Briefschreiber, "1930 starb er und wurde in seiner Heimat begraben." Der Grabstein sei der gleiche wie der, den wir so zufällig für unsere Reportage ausgewählt hatten. Conrad Machens und seine Frau Bertha erhielten von ihren Nachkommen das gleiche Grabmal. Eines in Hildesheim und eines in Levuka.
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26. Mai 2003/IB
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