Unruhige Zeiten für die Versicherungsbranche Pressebericht zur 6. Handelsblatt Jahrestagung "Assekuranz im Aufbruch" (9. und 10. März 2006, München)
Düsseldorf (ots)
Die Konzentration der Versicherungsmärkte, die jüngsten Gerichtsurteile des Bundesgerichtshofs sowie des Bundesverfassungsgerichts und die Marktchancen durch die EU-Erweiterung waren die Top-Themen der 6. Handelsblatt Jahrestagung "Assekuranz im Aufbruch" letzte Woche in München. Über 220 Teilnehmer der Branche diskutierten Strategien, Potenziale und Reaktionen der Versicherungswirtschaft auf die veränderten Rahmenbedingungen.
Positionen und Perspektiven Dr. Bernhard Schareck vom Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (GDV) eröffnete den etablierten Branchentreff mit einem positiven Resumee: "Die Ertragskraft ist gestiegen, das Geschäft ist gut ausgebaut und stille Lasten abgebaut. Die Versicherungswirtschaft hat sich gut behauptet." Hinsichtlich der Zukunftsaussichten für die deutsche Versicherungswirtschaft konstatierte der GDV Präsident, dass eine weitere Industrialisierung der Branche nötig sei. Er verglich die Situation mit der der Autoindustrie, die Teile ihrer Tätigkeiten an Dritte abgibt und zahlreiche Zulieferer beschäftigt: "Wir sind halt heute noch so aufgestellt, dass wir Farmen haben, auf denen wir Rinder züchten, und aus den Rinderhäuten machen wir die Bezüge für die Sitze." Das müsse sich ändern. Dennoch führe die Auslagerung von Betriebsteilen nicht unbedingt zur Verlagerung von Stellen in Niedriglohnländer. In jedem Fall sei jedoch eine Zunahme von Fusionen und Übernahmen zu erwarten.
Konsolidierung, Fusionen, Globalisierung "Nachdem jahrelang der Vorwurf einer zu hohen Konzentration in der Versicherungswirtschaft thematisiert wurde, die zu Lasten des Wettbewerbs und damit der Verbraucher gehen könnte, wurde in letzter Zeit umgekehrt die Vermutung geäußert, dass ein zu geringer Konzentrationsgrad die Ertragskraft und damit die Stabilität der Assekuranz in Deutschland gefährden könne", sagt Wolf-Dieter Baumgartl, Vorstandschef der Talanx AG. Zwar schreite die Konzentration im deutschen Markt voran, aber eher in einem moderaten Tempo. "Die Konsolidierung, die seit mehr als 20 Jahren prophezeit wurde, hat so nie stattgefunden", konstatierte Baumgartl. Zu beobachten sei aber, dass der Konsolidierungsprozess in anderen Staaten, wie beispielsweise Frankreich oder Spanien, wesentlich schneller voran schreite. Der Vorstandsvorsitzende betonte, dass eine Konzentration der Versicherungsunternehmen nicht nur Nachteile für Kunden, Versicherer und Stakeholder nach sich ziehe. Der Trend zu größeren Einheiten bedeute auch, dass eine Standardisierung der Prozesse erfolgen und ein breites Produktspektrum angeboten werden könne. Andererseits seien Innovationen schneller umsetzbar und nicht zuletzt garantiere die größere Kapitalkraft auch eine Sicherung von Arbeitsplätzen sowie Planungssicherheit für alle Beteiligten.
Allheilmittel Osteuropa? Welche Wachstumspotenziale sind (noch) erschließbar? Dr. Heinrich Focke von der Unternehmensberatung A.T. Kearney erwartet für den deutschen Versicherungsmarkt im Jahr 2006 ein Prämienwachstum von lediglich 0,5 Prozent. Wachstumspotenziale böten sich vor allem in den osteuropäischen Märkten. Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen wie beispielsweise die Stabilisierung der Währungen, massive Investitionen des Westens, die steigende Rechtssicherheit und hohe Bevölkerungszahl seien ideale Vorraussetzungen. "Mit dem zunehmenden Wirtschaftswachstum werden die anteiligen Ausgaben für Versicherungsleistungen steigen", prognostizierte Focke. Besonders interessante Segmente seien Auto, Vorsorge und Gewerbe. Doch hätten "Banken und Versicherungen, salopp gesagt, diese Entwicklung verschlafen", konstatierte Focke. In Polen, Tschechien und der Ukraine sei ein Einstieg in den Versicherungsmarkt nur noch schwer möglich. Potenzial böten derzeit noch Kroatien, Serbien, Bulgarien und die Ukraine. Besonders in der Ukraine, mit (noch) nicht verteilten Märkten, sei der Einstieg über eine green field operation durchaus sinnvoll, so Focke. Wachstumschancen lägen beispielsweise bei Kfz-Versicherungen, da bislang nur 12 Prozent aller Fahrzeuge in der Ukraine versichert seien. Auch das Segment Leben werde weiter wachsen. Ob der Einstieg in die Ostmärkte letztendlich lukrativ sei, müsse jedoch am Einzelbeispiel geprüft werden. Von blindem Aktionismus riet der Unternehmensberater zwar ab, warnte jedoch davor, Marktanteile an die bereits am Markt aktiven Banken zu verlieren.
Auch Cezary Stypulkowski von der Powszechny Zaklad Ubezpieczen, sprach über das Marktpotenzial der osteuropäischen Staaten. Ein besonderes Augenmerk richtete er dabei auf die Rolle der Banken. Nicht nur, dass die Banken die Bedürfnisse der Kunden gezielter ansprächen, auch auf operationaler Ebene seien sie sehr viel besser aufgestellt, wie beispielsweise bei der Nutzung von Web-Technologien. Osteuropäische Kunden würden zukünftig nicht nur Produkte kaufen, sondern immer mehr Wert auf Serviceleistungen legen. Banken seien in den osteuropäischen Staaten derzeit wesentlich besser aufgestellt, um die Marktchancen dort zu nutzen sagte Stypulkowski abschließend.
Die Auswirkungen der aktuellen Gerichtsurteile Als "neue Dimensionen des Verbraucherschutzes" bezeichnete Prof. Wolfgang Römer, Richter am Bundesverfassungsgericht a.D. und Ombudsmann für Versicherungen, die Urteile des Bundesgerichtshofes (BGH) vom 12.10.2005 sowie des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 26.7.2005. Alle Urteile sahen in der derzeitigen Ausgestaltung und Handhabung der Lebensversicherung die allgemeine Handlungsfreiheit sowie die Eigentumsgarantie verletzt. "Mit dem Urteil zur Überschussbeteiligung hat das BverfG im wesentlichen ausgeführt, dass bei der Überschussermittlung der Versicherte seine rechtlich erheblichen Belange nicht eigenständig verfolgen könne. Hier bestehe ein Schutzdefizit, das der Gesetzgeber beseitigen müsse", führte Römer aus. An der Bildung stiller Reserven wären Versicherungsnehmer bei der Bildung des Schlussüberschusses nicht beteiligt und hätten darauf auch keinen Einfluss. "Das ist ja klar, denn man kann ja nicht tausende Versicherungsnehmer einzeln fragen, ob sie damit einverstanden sind", bemerkte der Ombudsmann pragmatisch. Der Gesetzgeber sei gefordert, weil er einen Schutzauftrag habe. Demnach müsse er darauf hinwirken, dass der Versicherungsnehmer an den stillen Reserven beteiligt würde. Dieser Grundgedanke finde sich auch bei den Urteilen zur Bestandsübertragung wieder. Da auch hier ein Einwirken des Verbrauchers nicht gegeben sei, müsse der Gesetzgeber sicherstellen, dass die durch Prämienzahlungen geschaffenen Vermögenswerte als Quellen für die Erwirtschaftung von Überschüssen erhalten blieben. Auch die Forderung nach größere Transparenz der Abschluss- und Vertriebskosten sei nachvollziehbar, dennoch schränkte Römer hinsichtlich der geforderten vorvertraglichen Informationspflichten ein: "Der Verbraucher wird zwar mit mehr Informationen eingedeckt, aber es macht keinen Unterschied, ob er die Vertragsbedingungen vor oder nach dem Abschluss nicht liest."
Grundsätzlich begrüßte Römer den verbesserten Verbraucherschutz, bemängelte jedoch, dass der Gesetzgeber keine konkreten Handlungsoptionen gäbe und ein Eingreifen stets einen finanziellen Mehraufwand zur Folge habe. Darüber hinaus appellierte er an die 220 Teilnehmer, den nächsten Schritten der Legislative zuvor zu kommen: "Der Verbraucherschutz ist doch nicht grundsätzlich gegen die Interessen der Unternehmen gerichtet. Die Verbraucher sind schließlich ihre Kunden. Sie zu schützen ist auch Teil des Wettbewerbs. Je mehr die Branche dies erkennt und sich an die Spitze dieses Trends setzt, je günstiger wird dies für den Ruf des Unternehmens sein."
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