Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu Sarkozy
Bielefeld (ots)
Der alte Voltaire hatte seine eigenen Ansichten über die Völker Europas. Die Deutschen seien die Greise, meinte er, die Engländer die Männer und die Franzosen die Kinder. Das war vor 250 Jahren. Richtig auch heute ist sicherlich das Verdikt über die Deutschen, zumindest aus demographischer Sicht, und Voltaires Meinung über die Franzosen gilt auch heute, zum Beispiel wenn es um die Finanzen geht. Da will Paris geradezu kindisch-trotzig seinen Kopf durchsetzen. Jedenfalls zeigt sich der neue Präsident recht eigenwillig, wenn es um den Haushalt und die Schulden Frankreichs geht. Oder ist er - wie Kinder und im Gegensatz zu den Erwachsenen in den Nachbarländern - einfach nur ehrlich? Wenn Sarkozy sagt, statt 2010 werde er erst 2012 einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen können, weil er die Steuern senken will, wie er es im Wahlkampf versprochen hat, dann steht hier Realismus gegen politische Hochstapelei. Niemand weiß, wie die Konjunktur in den nächsten Jahren verläuft. Gewiss, man könnte Nicolas Sarkozy auch andere Motive unterstellen. Zufällig finden 2012 wieder Wahlen statt in Frankreich. Aber ist es für einen Politiker nicht legitim, auch an die Voraussetzung für die Erfüllung eines Programms, nämlich den Machterhalt, zu denken? Seine Haltung hat Tradition. Ihm ist das französische Hemd näher als der europäische Rock, und er kann sich dabei auch auf das Gerangel der Finanzminister vor der Phase des Aufschwungs berufen, insbesondere des damaligen deutschen Finanzministers Hans Eichel, als man in Sachen Stabilitätspakt politisch entschied und sich die Regeln entsprechend zurechtlegte. Dass er diese Haltung nun im Kreise der Finanzminister an den Tag legte, zeigt etwas vom neuen Stil des französischen Präsidenten: unprätentiös, kollegial, ehrlich, bestimmt, mutig. Das müssen jene Politiker-Kollegen, die oft glauben, das Land gehöre ihnen, ihm erstmal nachmachen - oder noch lernen. Sarkozy bringt Schwung ins alte Europa. Auch Marianne, die ins Gouvernantenhafte abgerutschte Dame Frankreich, bringt er auf Trab. Wenn es ihm gelingt, den Sozialdemokraten Dominique Strauss-Kahn auf den Chefsessel des Internationalen Währungsfonds zu hieven, wofür er das Plazet der Finanzminister erhielt, dann verliert die Sozialistische Partei ein Schwergewicht. Das wird Sarkozy das Regieren in Frankreich leichter machen. Für die Deutschen, die immer erst viel diskutieren und ständig auf der Suche nach dem Konsens sind, ist dieser Präsident gewöhnungsbedürftig. Das haben sie schon in Heiligendamm erlebt, als er ohne Absprache (unter Kohl/Mitterrand undenkbar, unter Chirac/Schröder/Merkel höchst selten) plötzlich Kompromissvorschläge aus dem Hut zauberte. Eigentlich könnte das Kernbündnis (Willy Brandt) dadurch belebt werden, denn dieser jugendliche Schwung und die derzeitige Berliner Bedächtigkeit ergänzen sich gut. Voltaire würde sich bestätigt fühlen.
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