Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Tarif-Streit bei der Bahn
Bielefeld (ots)
Eine Lok, einmal auf ein Gleis gesetzt, kann bis zur nächsten Weiche oder dem nächsten Abzweig nur den Schienen folgen oder rückwärts fahren. Es scheint so, als gelte dies bei der Bahn nicht nur für Lokomotiven, sondern auch für das Management, die Lokführer-Gewerkschaft und für die Politiker. Nur dass die handelnden Akteure sogar noch unflexibler sind: Rückwärtsfahrten sind bei Vertretern dieser Spezies schon aus grundsätzlichen Erwägungen ausgeschlossen. So rasen wir denn geradewegs auf einen Streik zu, der, wenn er nicht in letzter Minute noch abgewendet wird, den Steuerzahler und die Wirtschaft viel Geld und die Bahn einiges an Ansehen bei ihren Kunden kosten wird. In Sachen Börsengang hat die Notbremsaktion der Bundesländer immerhin für eine kleine Verzögerung gesorgt. Noch aber machen die Bundesregierung und insbesondere ihr Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee keinerlei Anstalten, das eingefahrene falsche Gleis zu verlassen und das Schienennetz in eine neutrale staatliche Obhut zu geben. Wenn man - wie Bahn-Chef Hartmut Mehdorn die Lokführer - jemanden rückwärts an den Abgrund drängt, darf man sich nicht wundern, wenn der Betroffene beginnt, wild um sich zu schlagen. Die klare harte Linie des Managers, der durch Gerichtsurteile sowie Rausschmiss- und Schadensersatz-Drohungen die Gewerkschaftler vom Streik abhalten will, mag ihm die Sympathien einer breiten Öffentlichkeit einbringen. Eine tarifliche Einigung ist auf diesem Gleis allerdings kaum möglich - es sei denn, um den Preis einer sehr hohen Lohnanhebung oder alternativ des totalen Gesichtsverlustes der Gegenseite. Zugegeben, ein Tarif-Bruttolohn von höchstens 2142 Euro ist für das, was einmal der Traumberuf vieler Jungen gewesen ist, nicht eben viel. Auf der anderen Seite sollten die neue Lokführer-Gewerkschaft GDL und ihr Vorsitzender Manfred Schell endlich zur Kenntnis nehmen, dass bei der privaten Konkurrenz teilweise noch weniger gezahlt wird. Auch geht es hier um eine grundsätzliche Frage: Wenn sich jede kleine Gruppe entsolidarisiert und auf ihrem eigenen Tarifvertrag besteht, wird die Fahrt für unsere Gesellschaft insgesamt zu teuer und zu risikoreich. Allerdings sind die Gleise in diesem Tarifstreit jetzt so eingefahren, dass ohne ein vermittelndes Eingreifen der Politik wohl nichts mehr an einem wochenlangen Streik vorbeiführt. Das Veto der Länder hat in dem anderen Streit immerhin die Chance eröffnet, dass es doch noch zu einer vernünftigen Lösung kommt. Diese kann aber nur heißen: Das Schienennetz muss von der Bahn AG abgetrennt werden. Nur dann ist ein echter und fairer Wettbewerb möglich, von dem auch die Bahnkunden profitieren. Es ist doch nicht einzusehen, dass das Netz, das mit Steuerzahlergeld aufgebaut wurde, einem einzelnen Unternehmen zugeschlagen wird. In der Telekommunikation, beim Strom, beim Gas - überall, wo das so gehandhabt wurde, hat es den Wettbewerb erschwert oder ganz verhindert.
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