Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Thema Mafia
Bielefeld (ots)
Große Oper für kleine Ganoven. Nachdem das letzte einigermaßen wichtige Mitglied zweier streitender Familien das Dorf San Luca verlassen hatte, schlug gestern die italienische Polizei mit großer Geste zu. Hubschrauber kreisten über dem beschaulichen Bergdorf. Die Zuflucht Verdächtiger im Keller wurde im Bulletin des Polizeisprechers zum Bunker aufgehübscht. Presslufthämmer gaben die Begleitmusik. Natürlich war der Einsatz mehr als Operette. Aber er steht für die Hilflosigkeit örtlicher Sicherheitsbehörden, die kaum ausputzen können, was auf hoher und höchster Ebene versäumt wurde. Das organisierte Verbrechen in seinen Ausformungen Cosa Nostra (Sizilien), Camorra (Kampanien), 'Ndrangheta (Kalabrien) und Sacra Corona Unita (Apulien) ist auch in Rom bekannt: Mafia. Und doch geschieht nichts Grundlegendes zur Herstellung und Sicherung des staatlichen Machtmonopols. Was hat eigentlich Silvio Berlusconi als einer der am längsten amtierenden Präsidenten des modernen Italiens unternommen? Und welche Anstrengungen gegen die Mafia hat die Opposition gezeigt, die sich allein auf ihren Lieblingsgegner konzentrierte? Nichts. Unbeachtet blieb ein riesiges Narko-Waffen-Wirtschaftssyndikat. Dessen Einflusszonen ergänzen jene weltumspannenden Parallelwelten, in denen Afghanistans Mohnernte und Afrikas Blutdiamanten ihre Form von Globalisierung abstecken. San Luca mag ein Quell der 'Ndrangheta sein, Duisburg einer ihrer geschätzten Außenposten. Die ganz großen Waren- und Finanzströme aber finden hier weder Ausgang noch Ende. Europas Drogenfahnder wissen, dass allein die Kalabrier zu den mächtigsten Gruppen im europäischen Kokainhandel zählen. Es gibt glaubhafte Hinweise, dass diese Organisation selbst paramiltärische Drogenkartelle Lateinamerikas in den Schatten stellt. Das ganz große Rad dreht sich immer mehr dort, wo legal produziert und gehandelt wird. Keine Frage, schleichende Unterwanderung und Durchdringung gefährden auch Deutschland von innen her. Zögerndes Vorgehen im Mezzogiorno, dem längst nicht mehr vernachlässigten Süden des Stiefelstaates, aber auch bewusstes Nichtstun hierzulande haben dazu beigetragen. Jahrzehnte hat es in der Bundesrepublik gedauert, bis die Beweislastumkehr für Inhaber unerklärlich großer Vermögen wenigstens ansatzweise Eingang ins Rechtssystem gefunden hat. Datenschutz, stark reglementierte Kontrollen von Telefon- und Kommunikationsverbindungen sowie im Rechtswesen immer noch hohe nationale Grenzen mitten in Europa gewähren Freiräume für Illegalität. Wir wissen das. Der Schutz der Privatsphäre - und aller Verabredungen, die dort erfolgen - ist uns wichtig. Deshalb müssen wir den Blick auf eine erschreckend komplexe Unterwelt ertragen, den der Sechsfachmord von Duisburg derzeit eröffnet. Jeder sieht, welchen Preis wir für Freiheit zu zahlen bereit sind.
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