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Westfalen-Blatt: Das WESTALEN-BLATT (Bielefeld) zum Thema Mobilität

Bielefeld (ots)

Als der Mensch die Augen aufschlug und seine
Umgebung zum ersten Mal bewusst wahrnahm, schwor er sich: Hier 
bleibst du nicht. Wir können diesen Entschluss mehr als nur erahnen, 
er ist uns so vertraut, als wäre es gestern gewesen, denn unser Traum
von der Bewegung ist zeitlos. So ist denn auch seine frühe 
schriftliche Fixierung göttlichen Ursprungs: »Füllet die Erde« 
(Genesis 1,28) - wie hätte der mit diesem Auftrag bedachte Homo 
sapiens je in seiner afrikanischen Heimat bleiben können!
Also hat er das Rad erfunden, damit es noch schneller ging, den 
Eselskarren und den Streitwagen, Leonardo bereits grübelte über dem 
Prinzip des Hubschraubers, und dann kamen die Techniker, die nach dem
Heißluftballon nicht lange fackelten: Dampfmaschine! Eisenbahn! Auto!
Flugzeug! Mondrakete!
»Nur in der Bewegung ist Leben«, meinte Jacob Burckhardt vor 150 
Jahren. »Ein Rennwagen ist schöner als die Nike von Samothrake«, 
befand ein halbes Jahrhundert später Marinetti, der Wortführer der 
Futuristen. (Zwei Jahrtausende nach ihrer Entstehung fehlen der 
Siegesgöttin Kopf und Arme, das erklärt es.)
Und heute? Ein beweglicheres Zeitalter hat es nie zuvor gegeben. Mit 
quietschenden Reifen aus der Vollbeschäftigung in die 
Hartz-IV-Sackgasse. Sogar die Krabbe ist mobil: in der Nordsee 
gefischt, in Marokko gepult, im polnischen Lkw reimportiert.
Sie merken es: der Traum von der Mobilität ist brüchig, ist 
museumstauglich geworden, und prompt haben sich Ostwestfalens 
Ausstellungsmacher des Themas angenommen. Wieso eigentlich erst 
jetzt? »Unstet und flüchtig sollst du sein auf Erden« (Genesis 4,12) 
- nach wenigen biblischen Kapiteln bereits hatte doch das 
optimistische »füllet die Erde« Risse bekommen. In der Antike betrug 
die Verlustrate unter den Piloten 50 Prozent (einzig Dädalus landete 
sicher). Der Schneider von Ulm, Ikarus' mittelalterlicher Epigone, 
zerschellte kläglich gleich am Start. Im ersten Eisenbahngedicht, in 
Chamissos »Dampfroß« von 1830, sah man die Vergangenheit die Zukunft 
überrollen, und Fontane verkündete, als die Brücke am Tay unter dem 
Schnellzug nach Edinburgh zusammenbrach: »Tand, Tand, ist das Gebilde
von Menschenhand.«
So weit wollen wir hier nicht gehen, auch wenn uns beim Blick auf 
Ballermann-Touristen und DSDS natürlich aufgefallen ist, was 
Friedrich Avist bereits 1843 notierte: »Jetzt seh ich die Leiber 
fliegen, während unsre Geister kriechen.« Außerdem speist sich die 
Mobilitätskritik aus mythischen oder - günstigstenfalls - aus 
dichterischen Quellen, und der Geistmensch hat ja keine Ahnung von 
der Welt. Womit wir beim englischen Romancier C.P. Snow angelangt 
wären, genauer: in der Brust des modernen Menschen, in der, ach!, 
zwei Seelen wohnen: die technische und die literarische. Jede der 
beiden Seelen sei stolz darauf, die andere nicht zu verstehen, 
bedauert Snow.
Der Mann hat leider recht. Wenn Sie ihn Lügen strafen wollen, gehen 
Sie mal ins Museum.

Pressekontakt:

Westfalen-Blatt
Nachrichtenleiter
Andreas Kolesch
Telefon: 0521 - 585261

Original-Content von: Westfalen-Blatt, übermittelt durch news aktuell

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