Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) kommentiert:
Bielefeld (ots)
Wenn nicht noch eine mittlere politische Sensation geschieht, werden heute in Hamburg die erste schwarz-grüne Koalition auf Länderebene besiegelt und der Christdemokrat Ole von Beust mit Hilfe der Grün-Alternativen Liste (GAL) im Amt des Ersten Bürgermeisters bestätigt. Doch was ist Hamburg nun? Ein weiterer Beleg für politisch unübersichtliche Zeiten oder ein Muster für das Deutschland im Herbst 2009? Zuerst einmal tut man gut daran, den Michel in der Stadt zu lassen. Will sagen: Hamburg steht parteipolitisch nur für sich. Eine hanseatisch-liberale CDU trifft hier auf Grüne, denen man vieles vorwerfen kann, nicht aber den Mangel an realpolitischer Orientierung. Hinzu kommt: Die Wirtschaft in der Hansestadt brummt derzeit besonders. Verteilungskämpfe müssen deshalb bei weitem nicht so hart geführt werden wie in anderen Bundesländern oder gar im Bund. Gleichwohl ist die Option zu verlockend, um bei Schwarz-Grün fortan nur an Hamburg zu denken. Nicht weniger als ein Denkverbot wird geschleift: Die politischen Feinde von einst sind die Partner von heute. Doch ist damit auch das Lagerdenken mit Schwarz-Gelb hier und Rot-Grün dort Geschichte? Ist gar der Ausweg aus dem Dilemma, das die Linke dem deutschen Parteiensystem beschert hat, gefunden? Langsam, langsam, möchte man rufen. Noch steht der Belastungstest für das Hamburger Bündnis aus. Da ist zu allererst die unsichere Zukunft des geplanten Kohlekraftwerks Moorburg, das die Grünen nur zu gern zu Grabe tragen möchten. Da ist die Elbvertiefung, die die CDU durchgeboxt hat. Und da ist die Bildungspolitik, in der momentan noch keine Seite weiß, wer die sechsjährige Grundschule als politischen Erfolg für sich verbuchen darf. Schwarz-Grün hat in Hamburg Probleme genug, und wenn's schief geht, wird man sich trennen. Koalitionen sind nie eine Liebesheirat, sondern stets ein Zweckbündnis auf Zeit. Schwarz-Grün mag eine Zäsur bedeuten, aber Hamburg wird keinen Automatismus in Sachen künftiger Koalitionsbildung in Gang setzen. Ungleich größer bleibt die politische Sprengkraft dieser Liaison. An der Basis rumort es. Das Misstrauen auf beiden Seiten sitzt tief. Nicht wenige Bürger fühlen sich düpiert. Da ist keine Rede vom »Modellcharakter«. Stattdessen wird purer Machterhalt als plumpes Motiv vermutet. Wo der Pragmatismus obsiegt, scheint der Schritt zur Prinzipienlosigkeit nicht mehr weit zu sein. Draußen demonstrierten die Ökoverbände, als drinnen die GAL-Delegierten den 65-seitigen Koalitionsvertrag abnickten. In der CDU wird gemäkelt, dass man den Grünen angesichts ihres Stimmenanteils von 9,6 Prozent reichlich viele Zugeständnisse gemacht habe. Ganz zu schweigen von der Angst, die Koordinaten des politischen Systems durch dieses Bündnis noch weiter nach links zu verschieben. »Es ist ein Weg mit Risiken und Chancen«, sagt die GAL-Vorsitzende Antje Hajduk. Deutschland darf gespannt sein und sollte aufmerksam zuschauen.
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