Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur NS-Bücherverbrennung vor 75 Jahren
Bielefeld (ots)
Nun mahnen sie und gedenken wieder. Der 10. Mai aber, der 75. Jahrestag der Bücherverbrennung durch devote Kulturfeinde, fällt in diesem Jahr auf einen Samstag, und so werfen die Berufserinnerer ihr Betroffenheitskränzchen eben einen Tag vorher ab - der Bundespräsident stellt sich heute auf den Pariser Platz und redet, die Akademie der Künste, der Börsenverein und das P.E.N.-Zentrum bilden einen Halbkreis, und dann ist endlich Wochenende: Fahrt ins Grüne, »Sportschau«! »Wenn es Goebbels gelingt, unsere Namen von den deutschen Tafeln zu löschen, sind wir tot. Schon die nächste Generation wird nichts mehr von uns wissen«, schrieb René Schickele im Exil. René wer? Eben. Es nützt nichts, dass Thomas Mann den charmanten Romancier und Essayisten aus dem Elsass für seine Trilogie »Das Erbe am Rhein« (1925) rühmte: vergessen! Man könnte sich noch heute mit Gewinn in ihr verlieren, aber . . . leider . . . Goebbels . . . Glücklich hat man Beelzebub benannt, verweist schaudernd auf seinen Hinkefuß und dann ab ins Wochenende. Allerdings führt die Personalisierung der Schuld auf die schiefe Ebene der Geschichtsklitterung: Die da am 10. Mai 1933 in allen (!) deutschen Universitätsstädten Buch um Buch heranschleppten, um es unter Tuten und Blasen der SA-Kapellen und zum Vortrag sprachlich defekter »Feuersprüche« in die Flammen zu werfen, waren lokale Beamte, Polizisten, Mitarbeiter der Hochschulen, Studenten. Gewiss: Die Bücherverbrennung war eine Etappe auf dem Weg in den kulturell kastrierten Einheitsstaat - und insofern des Propagandaministers Freude -, es erstaunt jedoch, dass die Institutionen, allen voran die Universitäten, kaum noch zuckten. Drei Monate nach der Machtergreifung war ihr Selbstbehauptungswille nur mehr so schwach ausgeprägt, dass der Hitlerbiograph Ian Kershaw das böse Wort von der »Selbstgleichschaltung« zu Recht im Munde führen darf. Vor 75 Jahren wurde der Geist schutzlos. Das ist nicht nur der 150 Namen umfassenden Goebbelschen Liste vom April 1933 geschuldet, sondern mindestens ebenso der Deutschen Studentenschaft, der das »Hochgefühl des nationalen Aufbruchs« (Joachim C. Fest) das Hirn vernebelte. Erich Kästner, dessen Bücher auch auf den Scheiterhaufen flogen, stand fassungslos im Abseits und schrieb hinterher: »Es war widerlich.« Heute nun, werden die verbrannten Bücher gezählt. 20 000 alleine am Berliner Opernplatz - Rekord! 500 000 Kilogramm Bücher bis Ende Mai '33 vernichtet - da sind Erinnerer am Werk, die große Literatur nicht lesen, sondern wiegen. In unserer Gesellschaft, in der die Kultur langsam ausblutet, passt diese Attitüde ins Bild. Von Schalom Asch bis Stefan Zweig: Club der toten Dichter. Sieg der Feuerteufel. Jetzt irrlichtert Charlotte Roche durch die Amüsierhallen der Republik: Wo das Erinnern in Ritualen erstarrt, überleben nicht die Gedanken der Fittesten, sondern die der Fadesten.
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