Westfalen-Blatt: Das Westfalen-Blatt (Bielefeld) kommentiert:
Bielefeld (ots)
Das war knapp. Ganz hart an der globalen Katastrophe vorbeigeschlittert sind die Finanzmärkte in der zurückliegenden Woche. Die Weltwirtschaftskrise von 1929 war womöglich nur noch einen Wimpernschlag entfernt. Besonders die Schieflage des US-Versicherers American International Group (AIG) sei bedrohlich gewesen, sagte am Freitag Hans-Werner Sinn, Chef des Münchner Ifo-Instituts: »Wäre die AIG zusammengebrochen, wäre das der Kollaps des Weltfinanzsystems gewesen.« Viele Banker, darunter manche mit noch höherem Renommee als Sinn, haben in den jüngsten Tagen nicht ganz so schwarz gemalt, was ihr Job war. Beschwichtigen - mitunter bis zur Volksverdummung - fand statt. Dabei ist jeder Appell an die Vernunft vergebliche Liebesmüh, wenn die Gefühle, und darunter nicht nur die edelsten, verrückt spielen. Am Montag brach das Bankhaus Lehman Brothers zusammen, am Donnerstag und Freitag starteten neue Kursraketen, weil die USA in einem noch nie dagewesenen Kraftakt die Milliarden nur so in die Märkte schaufelten. Allerdings: Die auch für die US-Volkswirtschaft kaum zu stemmenden Kraftakte werden im günstigsten Fall noch Monate lang von auslaufenden Schockwellen begleitet sein. Streng genommen, muss alles, was jetzt kommt, auch weh tun. Nur bittere Verluste lehren windige Spekulanten, die Börsen mit Spielkasinos verwechseln, Mores. Das Dilemma: Die ehrenwerteren Händler werden genauso rasiert. Auf der Strecke bleibt außerdem die dringend erforderliche Vielfalt am Markt, die Wettbewerb erst möglich macht. Vor allem: Die jetzt unvermeidlichen staatlichen Eingriffe in den Markt sind und bleiben Gift. Was geschieht, wenn es wieder rumst? Ganz abgebrühte Marktteilnehmer könnten darauf setzen, dass »Onkel Sam« künftig immer die Kastanien aus dem Feuer holt. Der Aufkauf aller giftigen Kredite und Papiere durch die US-Regierung ist nur ein Schritt zur Bewältigung der Mega-Krise. Börsenaufseher in den USA und Großbritannien wollen bestimmte Blanko- oder Leerverkäufe für eine befristeten Zeitraum total verbieten. Schnelle Deals, die auf Kursstürze wetten, Hedgefonds und institutionelle Großinvestoren stünden unter Kuratel. Investmentbanken haben bereits beklagt, dass ein Aussetzen ihrer »Short Sales« bankinterne Probleme nur verschlimmerten. Aktionismus dieser Art führe in einen Teufelskreis, von dem allein raffinierte Hintermänner profitierten. Seit dem großen Crash am 24. Oktober 1929 in New York haben die Marktteilnehmer gelernt. Nie wieder haben sich Börsenhändler ihn vergleichbarer Zahl von den Banktürmen gestürzt. Selbst die in Aktien- und - mehr noch - in Geldmarktfragen leicht zu erschreckenden deutschen Anleger haben seit 1988 einige Tiefs überstanden. Die in schöner Regelmäßigkeit mit zwei bis vier Jahren Verzug einsetzende Erholung dürfte inzwischen nicht nur die ganz hart Gesottenen auf neue Gewinne hoffen lassen.
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