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Westfalen-Blatt

Westfalen-Blatt: Das Westfalen-Blatt (Bielefeld) kommentiert:

Bielefeld (ots)

Der Blurb, der bereits seit 1914 im Lexikon
steht, ist die hemmungslos übertriebene Lobhudelei auf ein neues 
Buch. Im Deutschen wird der Blurb Klappentext genannt, aber in 
welcher Sprache auch immer: Der Blurb ist die literarische 
Entsprechung der von der Börse bekannten Blase - mit dem Unterschied,
dass diese Blase platzen kann, jene hingegen niemals. Man liest ein 
Buch immer mit Gewinn, und sei es mit dem Erkenntnisgewinn, dass die 
Lektüre Zeitverschwendung war.
Im Jahr 1949, als die Frankfurter Buchmesse erstmals nach 1000 
finsteren Jahren wieder ihre Tore öffnete, boten 200 deutsche Verlage
10 000 Titel an. Heute werden in Frankfurt 400 000 »Produkte« 
feilgeboten (längst nicht alle sind Bücher) - das sind 400 000 
Blurbs, und wehe demjenigen, der nicht über die Gabe der 
Unterscheidungsfähigkeit verfügt: Er ertrinkt in Lesestoff.
Es gibt unangenehmere Todesarten, zweifellos, aber Beschränkung tut 
not. Der Kulturfreund ist gut beraten, aus dem Messetrubel die 
wesentlichen Themen zu destillieren, als da sind:
- der Deutsche Buchpreis
- das E-Book
- das Gastland Türkei.
Der Deutsche Buchpreis ging an Uwe Tellkamp für sein 1000-Seiten-Epos
»Der Turm«, und jede andere Entscheidung der Jury wäre beschämend 
gewesen: Endlich, fast zwei Jahrzehnte nach dem Mauerfall, ist der 
große »Wenderoman« da, die lange ersehnte literarische Version des 
Epochenwandels, die intellektuelle Durchdringung eines historischen 
Großereignisses.
Ein Blurb? Ganz sicher, aber: tolle, lege! Nimm und lies!
Das E-Book, nun ja. Die Reaktion derer, die sich beruflich mit dieser
technischen Neuheit befassen müssen, reicht von »wir erleben eine 
Revolution« bis zu »kein nennenswerter privater Markt in Sicht«. Es 
gibt eine Klientel, die das E-Book haben muss, so wie wir als Kinder 
früher die Carrera-Bahn haben mussten (obwohl Bolzen auf der Straße 
viel aufregender war). Außerdem ist das E-Book schön. So schön wie 
damals die Regenbogenfarben der Edition Suhrkamp, deren bunte 
Einbände im Bücherschrank so herrlich leuchteten. Inhalt? Verweht. 
Die Zukunft wird dem E-Book seinen Platz anweisen, hier und heute 
hilft kein Blurb, und sei er noch so phantasievoll formuliert.
Bleibt die Türkei, das Gastland. »Auf diese Chance haben wir lange 
gewartet«, sagte eine Verlegerin aus Istanbul, und man verspricht, in
Frankfurt »die Türkei in allen ihren Farben« zu zeigen. Erklärtes 
Ziel: ein kräftiger Schub in Richtung EU-Mitgliedschaft. So nah wähnt
man sich diesem Ziel, dass man diskussionsweise bereits alle Grenzen 
zwischen Ost und West für »imaginär« erklärt.
Abzustreiten, dass die kulturelle Grenze zwischen dem christlichen 
Okzident und dem islamischen Orient verläuft, nonchalant beiseite zu 
wischen, dass das Abendland in Frankfurt 400 000-mal seine 
intellektuelle Freiheit ohne Angst vor religiös verbrämter Verfolgung
präsentieren kann: das ist wahrlich der Superblurb.

Pressekontakt:

Westfalen-Blatt
Nachrichtenleiter
Andreas Kolesch
Telefon: 0521 - 585261

Original-Content von: Westfalen-Blatt, übermittelt durch news aktuell

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