Westfalen-Blatt: Das Westfalen-Blatt (Bielefeld) kommentiert:
Bielefeld (ots)
Parteiprogramme sind in der Regel ziemlich platt. Aber wenn man gar keins verfolgt, ist es noch schlimmer. Papiere können dann Bumerangqualitäten entwickeln. Das widerfährt just der CDU. Sie hat unter dem Einfluss der Vorsitzenden und Kanzlerin drei Jahre laviert und moderiert und immer viel zu oft Rücksicht genommen auf den Koalitionspartner. Jetzt weiß man nicht mehr, wofür sie steht und das ist in Zeiten von Krisen und Wahlen - 2009 stehen nicht weniger als 14 in Bund, Ländern und Gemeinden an - besonders fatal. Die nicht mehr zu stoppende Steuerdebatte zeigt dieses Dilemma. Die Kanzlerin würde gerne Entscheidungen auf die Zeit nach den Wahlen verschieben. Die Parteigranden aber wollen jetzt handeln. Wegen der Wahlen und wegen der Krise. Das ist richtig. Das politische Taktieren der Kanzlerin ist falsch. Sie wird es auf dem Parteitag merken. Denn bei den Wahlen geht es nicht nur um das Prestige der Vorsitzenden, sondern um das nackte politische Überleben etlicher Mandatsträger und denen ist das Mandatshemd allemal näher als der Rock der Parteispitze. Das wird sich auch zeigen bei den Wahlen der Stellvertreter. Die Pleite vom letzten Mal, als Jürgen Rüttgers abgewatscht wurde und die beiden anderen, Roland Koch und Christian Wulff, auch nicht so richtig glänzten, wird sich nicht wiederholen. Alle drei Barone der CDU - Rüttgers, Wulff und Koch - werden diesmal achtbare Ergebnisse bekommen. Sie wollen ihre politischen Geschicke nicht einem programmlosen Ronald Pofalla überlassen. Sie führen die Regie diesmal selbst. Der Abstand zwischen ihnen und der Vorsitzenden wird sich im Wahlergebnis niederschlagen: Er wird geringer sein. Und interessant wird in diesem Zusammenhang auch zu beobachten sein, ob der Kandidat Rüttgers für das Präsidium, der JU-Vorsitzende Philipp Mißfelder, sich gegen Ursula Heinen, die Kandidatin der Kanzlerin, durchsetzt. Der Parteitag wird aber auch ein Signal sein für den Wunsch nach mehr Inhalten, nach mehr Orientierung, nach mehr Profil. Dafür steht Merkel längst nicht mehr, von Pofalla ganz zu schweigen. Die Schwesterpartei CSU wird ihren Slogan »Mehr Netto vom Brutto« durchsetzen, die Wertkonservativen werden an die Familie - die normale mit Vater, Mutter, Kind(er), die immer noch fast 80 Prozent aller Familien ausmacht - erinnern und ein Familiensplitting anpeilen, ohne deshalb das Ehegattensplitting auszuhöhlen, was heimlicher Wunsch auch der Genderfanatiker ist. Merkel und ihre Machtingenieure werden erfahren: Macht ist kein Selbstzweck, sie braucht Ziele, ein Programm. Die Leere wird zur Lehre. Romano Guardini (1885 - 1968) definiert das Wesen der Macht sogar über die »Sinngebung«. Es kann kein Vakuum in der Politik geben. Deshalb ist der programmatische Schub jetzt auch kein Wunder. Vielleicht kommt er für die CDU zu spät, um an der Macht zu bleiben. Für eine Regeneration dagegen ist es nie zu spät.
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