Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu Wahlrechtsfragen in NRW
Bielefeld (ots)
Die Schlappe um extrem vorgezogene Kommunalwahlen schmerzt die Landesregierung erheblich. Zu lange ist verkannt worden, dass vorzeitige Neuwahlen nur dann nichts Besonderes sind, wenn eine Regierung oder ein Präsident zurücktritt. In den NRW-Rathäusern sieht das anders aus. Wer Anfang Juni wählen lässt, obwohl die bisherigen Bürgermeister und Räte noch bis zum 21. Oktober amtieren, der wirft viele Fragen auf. Trickserei? Spiel mit dem Wählerwillen? Vorratsbeschluss? Kein Wunder, dass die Verfassungsrichter in Münster nicht nur die Stirn runzelten. Sie untersagten die Vorziehung um viereinhalb Monate. Dabei wurde der übliche, aber ungeschriebene vier Wochen-Abstand zwischen Wahltag und erster Sitzung großzügig auf drei Monate ausgedehnt. Doch selbst in dieser Frage könnte das letzte Wort noch nicht gesprochen sein. Kein Wunder also, dass die Opposition jetzt Oberwasser hat und Lust auf weitere Verfahren verspürt. Bei der Kommunalwahl am 30. August gibt es keine Stichwahl mehr um die Posten der Oberbürgermeister, Bürgermeister und Landräte. Gewählt ist die Frau oder der Mann mit den meisten Stimmen, auch wenn deutlich weniger als 50 Prozent erreicht wurden. Außerdem wurde übrigens die Amtszeit für die Bürgermeister und Landräte von fünf auf sechs Jahre verlängert. Bürgermeister- und Ratswahlen finden damit vorerst zum letzten Mal am selben Tag statt. Noch prüfen die Juristen bei SPD und Grünen, ob und wann sie den Gang zum Landesverfassungsgericht in Münster wagen. Inzwischen dürfte niemand mehr im FDP-geführten Innenministerium und auch nicht in Jürgen Rüttgers Staatskanzlei das Ansinnen unterschätzen. Eine Eilentscheidung etwa zugunsten der klagenden grünen Bürgermeisterkandidatin Sigrid Beer aus Paderborn, sagen wir 14 Tagen vor der Kommunalwahl, wäre der Horror für die sichtlich nervöse Landesregierung. Auch eine Anfechtung der mutmaßlichen Wiederwahl der Paderborner CDU-Bürgermeisters Heinz Paus durch die unterlegene Grünen-Kandidatin wäre verheerend für das ganze Land. Schließlich tritt die Landesregierung im Mai 2010 selbst vor den Wähler. Niemand kann heute vorhersagen, ob der einst komfortable Vorsprung von Schwarz-Gelb in den nächsten vier Wahlgängen hält und ob Rüttgers ohne weitere Ministerwechsel durchregieren kann. Schon die Bundestagswahl Ende September könnte alle Siegeszuversicht bei der Union atomisieren. CDU und FDP wollen landespolitisch so schnell wie möglich zurück ins politische Alltagsgeschäft, denn nur dort können sie punkten. SPD und Grüne werden das nach Kräften zu verhindern versuchen. Mit der inzwischen vierten Schlappe der Landesregierung vor den Münsteraner Richtern hat die Opposition ihren bislang stärksten Hebel gefunden. Sie wird bei der kleinsten Unregelmäßigkeit seitens der Regierenden davon sofort wieder Gebrauch machen.
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