Westfalen-Blatt: Das Westfalen-Blatt (Bielefeld) zum Amoklauf in Winnenden (KORRIGIERTE FASSUNG):
Bielefeld (ots)
Der Albtraum ist wieder da. Neben Erfurt und Emsdetten steht nun Winnenden auf der Landkarte des Entsetzlichen, des Unbegreiflichen. 15 Menschen hat der 17-Jährige getötet, weitere schwer verletzt. Doch nicht nur jene, die körperlich getroffen wurden, sind Opfer. Wer mag ermessen, wie tief die seelischen Wunden sind, die der Täter bei den Überlebenden geschlagen hat? Das Leid ist unermesslich. Wir werden Tim K. nicht mehr fragen können, was ihn getrieben hat. Auch sein Leben ist ausgelöscht - ebenso wie das der Amokläufer von Erfurt und Emsdetten. Doch es gibt Fragen, die beantwortet werden können. Und müssen. Warum wurde es Tim K. so leicht gemacht, an das Todeswerkzeug zu gelangen? Mehr als ein Dutzend Waffen soll Tims Vater in seinem Haus gehortet haben. Wozu? Warum war es schon den Amokläufern von Emsdetten und Erfurt so unerträglich leicht gemacht worden, sich mit Waffen zu versehen? Der eine ersteigerte ein Gewehr im Internet, der andere durfte als Sportschütze eine Pumpgun erwerben - ganz legal. Gewiss: Nach der Tat von Erfurt wurde das Waffenrecht verschärft. Doch noch immer sind in Deutschland etwa zehn Millionen Pistolen, Revolver und Gewehre registriert. Deshalb müssen sich Jäger, Sportschützen und alle anderen Waffenbesitzer fragen lassen, ob sie wirklich alles dafür tun, damit ihr Arsenal unter Verschluss bleibt. Vor allem aber müssen sich die Behörden fragen, ob sie die Waffenbesitzer wirklich ausreichend kontrollieren. Wer leichtfertig mit solchem Todeswerkzeug umgeht, muss entwaffnet und bestraft werden. Doch zur Bluttat von Winnenden gehörten nicht nur die Waffen, sondern auch der Entschluss des 17-Jährigen, sich zum Herrn über Leben und Tod zu erheben. Schulabschluss geschafft, Ausbildung begonnen, ein Elternhaus, das man »ordentlich« nennen könnte: Einen äußeren Anlass scheint es nicht zu geben. Vielleicht ist es wahr, dass manche Jugendliche, Jungen zumal, mit sich selbst überfordert sind. Pubertät und Erwachsenwerden sind Phasen im Leben, die nicht leicht zu meistern sind. Manche, wie es bei Tim K. der Fall war, zerbrechen daran. »Kein Jugendlicher darf in Parallelwelten flüchten. Wir müssen Kinder und Jugendliche stark machen, damit sie in der realen Welt klarkommen«, sagte Kerstin Griese (SPD), Vorsitzende des Bundestags-Familienausschusses. Dazu bedarf es großen Rückhalts. In der Schule, die Kinder nicht nur mit Lehrstoff füttern darf, sondern sie zu Persönlichkeiten reifen lassen muss. In der Familie, die spüren muss, wenn Frust und Verzweiflung bei einem Heranwachsenden unerträglich werden. Wir müssen uns um unsere Kinder kümmern: Das ist die Lehre aus Winnenden.
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