Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Geburtenrückgang
Bielefeld (ots)
Endlich werden in Deutschland wieder mehr Kinder geboren! Erst im Februar hatte Familienministerin Ursula von der Leyen diese Nachricht verkündet und von einer Trendwende gesprochen. Doch der Wunsch war Vater des Gedankens: Geburtenrückgang statt Babyboom - die neuen Zahlen des Statistischen Bundesamtes düpieren die Ministerin. Das beweist zweierlei. Erstens: Statistische Taschenspielertricks sind gefährlich, auch wenn sie politisch opportun erscheinen. Zweitens: Es ist ein Irrglaube, staatliches Handeln vermöge unmittelbar bis ins Privateste seiner Bürger zu wirken. Zur Statistik: Schon bei der Präsentation des Familienberichts im Februar warnten Experten vor vorzeitigem Triumph. Zwar wurden 2007, dem ersten Jahr mit dem neuen Elterngeld, in der Tat 12 000 Kinder mehr geboren als im Jahr zuvor. Doch das Vergleichsjahr 2006 war das mit der geringsten Geburtenzahl in der bundesdeutschen Geschichte. Es gab 2007 also nur relativ mehr Babys, absolut jedoch noch immer sehr wenige. Geradezu leichtfertig aber war es von der Ministerin, aus dem Anstieg der Geburtenzahlen in den ersten neun Monaten des Jahres 2008 eine Trendwende für das Gesamtjahr abzuleiten. Je kleiner der betrachtete Zeitraum, desto größer die Ausschläge: Diese Binsenweisheit der Statistik hat sich erneut bewahrheitet. Ursula von der Leyen ist zwar höchst populär, in der eigenen Partei aber nicht unumstritten. Da mag die Versuchung groß gewesen sein, voreilig Erfolgszahlen zu präsentieren, um die Kritiker zum Schweigen zu bringen. Jetzt ist der Schaden doppelt groß: Die familienpolitische Ikone der Union ist angekratzt, ihre Kritiker lachen sich ins Fäustchen. Und der Staat? Der muss sich von der allzu schlichten Rechnung verabschieden, dass mehr Krippen und Elterngeld automatisch mehr Kinder bedeuten. Doch es hieße das Kind mit dem Bade auszuschütten, wenn nun die Familienpolitik von der Leyens insgesamt infrage gestellt würde. Mehr Krippen und Elterngeld - ja. Wie sonst soll eine stärkere Teilhabe der besser denn je ausgebildeten Frauen am Erwerbsleben erreicht werden, wo sich noch immer viele Männer nur recht ungern zur Familienarbeit verpflichten lassen? Mehr Krippen und Elterngeld - ja, aber nicht nur. Die Entscheidung für ein Kind hängt von vielen Umständen ab: Dem Mut, eine Schicksalsgemeinschaft zu gründen. Der Überzeugung, den Herausforderungen des Familienlebens gewachsen zu sein. Die Hoffnung, den Kindern eine nicht nur materiell sichere Zukunft zu ermöglichen. Und die Erwartung, dass die finanzielle Last, die das Aufziehen von Kindern mit sich bringt, durch gesellschaftliche Anerkennung zumindest ideell aufgewogen wird. Das alles sind Faktoren, die sich erfühlen, aber nicht immer errechnen lassen. »Familienpolitik wirkt sich erst langfristig aus«, weiß der Berliner Familienforscher Hans Bertram. Weitere vorschnelle Erfolgsmeldungen sollte sich die Ministerin deshalb versagen - um der Sache willen.
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