Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Bundesparteitag der Grünen
Bielefeld (ots)
Die Grünen haben ihren Bundesparteitag in Berlin als merkwürdige Mischung aus selbstverliebtem Fundamentalismus und machtpolitischer Wendigkeit zelebriert. Auf der einen Seite wollen sie regieren und eine Million neuer Arbeitsplätze in vier Jahren schaffen. Von einem grünen »New Deal« ist vollmundig die Rede. Andererseits verzichtet die Partei auf eine Koalitionsaussage. So bleibt für die Wähler unklar, wie die Grünen überhaupt an die Regierung kommen wollen. An markigen Worten hat es nicht gefehlt, doch die im Velodrom zur Schau gestellte Harmonie ist trügerisch. Die Partei hat programmatische und personelle Probleme. Ihre Machtoption ist dürftig. Die Grünen haben das Patent auf das Thema Ökologie verloren. Längst geriert sich nicht nur Angela Merkel als Klimakanzlerin. Des Alleinstellungsmerkmals beraubt, versuchen die Grünen den Umkehrschluss. So erklärt sich, was eine Ironie der Geschichte ist: Ausgerechnet die Ökopartei propagiert eine Politik des Wachstums und das in Zeiten der größten Wirtschaftskrise seit 80 Jahren. Dafür soll eine Neuverschuldung von 80 Milliarden Euro erlaubt sein. Da jubelt die Parteilinke, die auch die Forderungen nach 7,50 Euro Mindestlohn, der Abschaffung von Praxisgebühr und Arzneimittelzuzahlung sowie Anrechnung des Partnereinkommens bei den Hartz-IV-Sätzen ins Programm setzte. Wieder einmal düpierten die Delegierten die Parteispitze, um die es ohnehin nicht zum Besten bestellt ist. Seit die Grünen ihre Galionsfigur Joschka Fischer verloren haben, fehlt der Partei der Anführer. Das Spitzenduo Jürgen Trittin und Renate Künast steht für eine Ampelregierung aus SPD, FDP und Grünen, darf das nun aber nicht mehr laut sagen. Das wiederum freut vor allem die Parteivorsitzende Claudia Roth, die die Westerwelle-FDP zum neuen Feindbild auserkoren hat. Ihre Attacken machen ein gemeinsames Bündnis nur schwer vorstellbar. Wie aber eine grüne Regierungsbeteiligung außerhalb einer Ampel entstehen soll, sagt Roth nicht. Dabei ist klar: Ohne ein mittelgroßes Wunder bleibt eine Neuauflage von Rot-Grün nach der Bundestagswahl ausgeschlossen. Zu allem Überfluss liegen die Grünen in den Umfragen hinter der FDP und der Linken. So könnte aus dem angestrebten Platz drei im Parlament schnell Rang fünf werden. Diese Aussicht dürfte die Lust auf weitere vier Jahre Opposition abermals vermindern. Bliebe nur die Option Rot-Rot-Grün. Auch hierfür gilt das Schweigegelübde. Noch. Damit dürfte es aber am 27. September vorbei sein, wenn die Zahlen stimmen. Mit ihrem Parteitag haben sich die Grünen nicht nur programmatisch, sondern auch emotional enttarnt. Die Begeisterung für Gesine Schwan, die ja Synonym einer rot-rot-grünen Allianz ist, sprach Bände. Die Grünen haben ein Zeichen gesetzt - auch ohne Koalitionsaussage.
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