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Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Parteitag der Linken

Bielefeld (ots)

Der Niederschlag in der Berliner
Max-Schmeling-Halle ist ausgeblieben. Wer schon für dieses Wochenende
die Selbstzerlegung der Linken erwartet hatte, der ist enttäuscht 
worden. Doch es bleibt wahrscheinlich, dass dieses Sammelsurium von 
Übriggebliebenen, Enttäuschten, Verträumten und Verblendeten eine der
nächsten Gelegenheiten beim Schopfe packen wird. So wie die 
Formulierung eines Grundsatzprogramms haben die Roten auch ihren 
grundlegenden Zwist nur vertagt.
Einstweilen ist es vor allem Fraktionschef Gregor Gysi gelungen, die 
Heißsporne auf den Flügeln der Partei zu beruhigen. Gysi hat das 
Wir-Gefühl der Linken wiederbelebt, das der Streit zwischen 
Fundamentaloppositionellen und Möchtegernmitregierern zu verschütten 
drohte. Seine Appelle an die Solidarität der streitlustigen Genossen 
sind am Wochenende gehört worden. Dass die Truppe sie langfristig 
beherzigen wird, ist allerdings schwer vorstellbar. Zu weit ist der 
Weg von den Geld um sich werfenden Utopien des nun beschlossenen 
Wahlprogramms zu den nüchternen Voraussetzungen für eine 
Regierungsbeteiligung in Thüringen, im Saarland oder gar im Bund.
Parteichef Oskar Lafontaine hat Gysi, die andere Lichtgestalt seiner 
Truppe, beim Berliner Parteitag strahlen lassen, indem er selbst 
einmal nicht den Volkstribun gab. Lafontaines langatmiger Rückzug auf
die Ausbreitung vermeintlicher Wirtschaftskompetenz sollte zum einen 
eine Lücke füllen, die hartnäckiger Teil der öffentlichen Wahrnehmung
der Linken ist: Mit Geld können die nicht umgehen. Zum anderen ist 
der einstige Kurzzeit-Superminister der SPD-Regierung Schröder auch 
persönlich seit jeher darauf erpicht, als verständiger Finanzexperte 
zu gelten. War er doch als damaliger SPD-Kanzlerkandidat einer der 
wenigen, die während der Endphase der DDR vor den hohen Kosten des 
eingeschlagenen Weges zur Deutschen Einheit warnten. Dass er damals, 
als ihm kaum jemand zuhörte, nicht unrecht hatte, scheint ihn seitdem
anzutreiben. Und so realitätsfremd die Vorschläge, die er unters 
Volks bringt, auch sein mögen - zehn Euro Mindestlohn, früherer 
Renteneintritt und Millionenerträge durch eine Reichenstrafsteuer zum
Beispiel: Die oberflächliche argumentative Kraft ist dem Populisten, 
der sich 1995 mit einer Rede auf dem Mannheimer Parteitag an die 
Spitze einer Scharping-müden SPD putschte, nicht abhanden gekommen.
Doch bei seiner alten Partei kann »der Oskar«, wie viele 
Sozialdemokraten immer noch sagen, damit nicht mehr landen. Die 
autoritäre Machtfülle des neuen Lafontaine bei den Linken ist für 
SPD-Parteichef Franz Müntefering sogar das beste Faustpfand beim 
Kampf um die Abgrenzung vom Lagermitbewerber. So kann nach diesem 
Linken-Parteitag auch Müntefering zufrieden sein. Lafontaine hat zwar
auf seinem Kochtopf den Deckel halten können. Doch die auseinander 
strebenden Linken sind alles andere als so sortiert, dass Müntefering
sich fragen lassen müsste, warum er mit denen denn nicht endlich 
koalieren wolle.

Pressekontakt:

Westfalen-Blatt
Nachrichtenleiter
Andreas Kolesch
Telefon: 0521 - 585261

Original-Content von: Westfalen-Blatt, übermittelt durch news aktuell

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