Westfalen-Blatt: Das Westfalen-Blatt (Bielefeld) zum Thema Unions-Wahlprogramm:
Bielefeld (ots)
Die Ehrliche war damals die Dumme. Noch einmal will Angela Merkel nicht in den Wahlkampf ziehen mit der Absicht, Steuern zu erhöhen. 2005 hat sie so viel Offenheit den Wahlsieg für Schwarzgelb gekostet. Komplizierte Wahrheiten, wie sie ihr Finanzexperte Paul Kirchhof offen zur Debatte stellte, wird es diesmal nicht geben. Das gemeinsame Bundestagswahlprogramm von CDU und CSU tut allen wohl und keinem weh. Es taugt mitnichten für ein echtes Regierungsprogramm. Es ist so glänzend poliert, dass die politische Konkurrenz auf spiegelblankem Parkett kaum Tritt fassen wird. Nur darum geht es. Glatt vergessen kann die SPD ihre schon bei der Europawahl wirkungslose Negativkampagne. Die von links gern ausgerufenen Warnungen vor einer neoliberalen Eiszeit lassen sich mit diesem Katalog der warmen Empfehlungen jedenfalls nicht begründen. Keine Spur mehr von aufgeweichten Arbeitnehmerrechten, nicht einmal von (Gerhard Schröders) Agenda-Zumutungen. Die Wahlwelt der Union ist wunderbar in Ordnung: Senioren stehen Mindestrenten zu, das Schonvermögen der Hartz-IV-Empfänger steigt, Mittelständler dürfen sich auf Steuersenkungen freuen, Familien auf höhre Kinderfreibeträge und die Facharbeiter werden nicht länger um Progressionsvorteile gebracht - sofern die Löhne auch steigen. Dass diese in den kommenden schweren Jahren auch fallen könnten, kommt nicht vor. Warum auch? Halbe Wahrheit sind schließlich üblich im Wahgetümmel. Auch die SPD schreibt nirgends, wie sie die Rente mit 65 bezahlen kann. Mehr noch: Je mehr eine Partei verspricht, desto weniger nennt sie die Gegenfinanzierung. In höchster Perfektion und bis zum Exzess beherrscht übrigens die Linkspartei dieses Geschäft, die damit alle anderen wiederum vor sich hertreibt. Mehr als 60 Seiten stark, aber nur fünf Zeilen zur Lösung der Wirtschaftskrise, so steht das Unionswahlprogramm heute im Berliner Kongresszentrum zur Abstimmung. Und es sieht ganz danach aus, als ob die Unionsführung damit durchkommt. Die zum Parteitag aufgepeppte Tagung am Alexanderplatz wird einen »einhelligen Beschluss« fassen und die Reihen eng schließen. Denn die medialen Lauscher werden das Geschehen im Plenum wie in den Gängen nach einem einzigen Schlüsselort scannen: Mehrwertsteuererhöhung. Das M-Wort wird das H(orror)-Wort dieses Wahlsommers. Wer es im Munde führt, dem droht Merkels politischer Schwitzkasten. Günther Oettinger, der Mann mit dem untrüglichen Gespür für den falschen Zeitpunkt, bekommt das gerade zu spüren. Außerdem: Wenn gerade die letzten Wirtschaftspolitiker alter Schule am Fliegenfänger der Union hängen, zeigt das doch eins. Die Abrechnung mit der Agenda der Vergangenheit, Flexibilisierung und dem hohen Lied auf die Leiharbeit, als selbst ein gewisser Gerhard Schröder noch der Genosse der Bosse war, kann man auch ohne die SPD führen.
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