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Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur politischen Farbenlehre

Bielefeld (ots)

Schwarz-Gelb oder doch weiter Schwarz-Rot?
Glaubt man den Umfragen der Meinungsforscher und den 
Koalitionsaussagen der Parteien, so geht es bei der Bundestagswahl 
nur um diese Frage. So zutreffend die Zuspitzung ist, so tückisch ist
sie.
Zum einen gibt es allen Grund, der Arbeit der Demoskopen mit Vorsicht
zu begegnen. Die Meinungsforscher tun es ja selbst. Sie weisen für 
ihre Umfragen eine Fehlertoleranz von bis zu 3,1 Prozentpunkten aus. 
Die vielen Unentschlossenen machen zusätzliche Probleme. Jeder vierte
Wahlberechtigte wusste bis zuletzt nicht, ob er wählen geht und wenn 
ja, wem er seine Stimme gibt. Schließlich haben wir schlechte 
Erfahrungen gemacht. Nie wurde die Unsicherheit von Umfragen 
eindrucksvoller belegt als 2005. Auch die Demoskopie erlebte damals 
einen rabenschwarzen Wahlabend.
Die Branche wurde vorsichtiger. Die Macht der Umfragewerte indes 
blieb ungebrochen. Wieder haben die wöchentlichen 
Wasserstandsmeldungen den Wahlkampf geprägt. Die Union hat sich lange
von »stabilen Mehrheiten« in Sicherheit wiegen lassen. Plötzlich ist 
es knapp. Warum sollen weitere Überraschungen für den 27. September 
ausgeschlossen sein?
 Das würde in einem Fünfparteiensystem um so mehr zutreffen, hätten 
sich die Parteien nicht in den alten, längst überholten Lagern 
verschanzt. Gleich drei Koalitionsmodelle gelten als Tabu, weil die 
Ausschließeritis grassiert. Ampel, Jamaika und Rot-Rot-Grün kann es 
nur bei Wortbruch geben. Der ist zwar unwahrscheinlich, aber 
keinesfalls unmöglich. Doch selbst wenn sich die Parteien diesmal 
noch treu bleiben sollten, werden sie sich im Bund bald neu 
orientieren.
 Die SPD wird ihr kategorisches Nein zur Zusammenarbeit mit der 
Linken über Bord werfen. Mit den Grünen allein ist der Weg zur 
Mehrheit weit. Die Union kann an diesem Sonntag mit der FDP siegen. 
Trotzdem wird sie weiter versuchen, die Grünen als potentiellen 
Bündnispartner zu gewinnen. CDU und CSU müssen raus aus der 
schwarz-gelben Ausschließlichkeitsfalle. Auch FDP und Grüne werden 
ihre Scharnierfunktion zwischen den großen Parteien nicht dauerhaft 
ignorieren, sondern sie flexibel, nicht beliebig, für sich zu nutzen 
wissen.
Wer glaubt, dass eine neue Große Koalition all dies verhindern 
könnte, irrt gewaltig. Eine Große Koalition würde nicht noch einmal 
vier Jahre stabil bleiben. Zu groß wären die Fliehkräfte für Union 
und SPD. Zu verlockend wäre die Aussicht für die kleinen Parteien, im
Laufe der Legislaturperiode aus der Opposition ein Dreierbündnis zu 
schmieden, ohne dafür unmittelbar vom Wähler bestraft werden zu 
können.
 Eine Große Koalition ist keine Wahl, sondern ein Platzhalter: für 
eine Ampel oder für Jamaika, am wahrscheinlichsten aber für 
Rot-Rot-Grün. Am Sonntag geht es nicht nur um Schwarz-Gelb oder 
Schwarz-Rot. Es geht um mehr.

Pressekontakt:

Westfalen-Blatt
Nachrichtenleiter
Andreas Kolesch
Telefon: 0521 - 585261

Original-Content von: Westfalen-Blatt, übermittelt durch news aktuell

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