Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT zum Freitod von Robert Enke
Bielefeld (ots)
Der Freitod des Fußball-Nationaltorhüters Robert Enke lässt darauf schließen, dass er in zwei Welten lebte: ein Parallel-Dasein zwischen Liebenswürdigkeit und Düsternis. Und es fragen sich in der bleiernen Zeit des Trauerns nun alle, die ihm nah waren, die ihn gut zu kennen glaubten oder auch nur ein bisschen, was sie hätten tun können oder was sie womöglich versäumt haben. Es ist eine schwere Prüfung. Eigentlich wäre Enke gerade jetzt bei der deutschen Nationalelf gewesen. Mangels Spielpraxis infolge einer Darmerkrankung war er aber nicht eingeladen worden. Sein Vereinstrainer Andreas Bergmann hat sein Unverständnis darüber ausgedrückt, dass die erklärte Nummer 1 außen vor bleiben musste, und es liegt auf der Hand, dass sich Bundestrainer Joachim Löw mit diesem Thema nun aus einem ganz anderen Blickwinkel beschäftigt. Da sitzt der Kloß im Hals tief. Ergriffenheit und Bestürzung sind so groß, dass man der tragischen Lebensgeschichte des Robert Enke nur mit der Absage des Länderspiels gegen Chile am Samstag in Köln gerecht werden kann. Die Entscheidung des DFB, sensibel vorgetragen vom Präsidenten Theo Zwanziger, ist absolut richtig. Sie entspricht dem Wunsch von Enkes Nationalelfkollegen, die nicht fähig gewesen wären, einen feinen Spielzug zu zeigen oder ein Tor zu bejubeln. Ohne Enke wird auch der Bundesliga-Alltag in den kommenden Wochen nicht wieder so sein wie vorher. Jede Hannover-Partie wird vom Gedenken an ihn begleitet, niemals mehr soll ein 96-Schlussmann den Dress mit der Nummer 1 tragen. Kleine und große Zeichen der Anerkennung und Ehrerweisung für einen Mann, der sehr deutlich Position beziehen konnte, aber nie viel Aufhebens um sich selbst machte. Es hätte nicht seinem Charakter entsprochen. So gesehen war ein Verein wie Hannover 96, der nicht zu den Glamour-Klubs zählt, gerade richtig für ihn. Mutmaßen lässt sich nur, dass Enke sich hier in seiner immer wiederkehrenden Verzweiflung auch besser abzuschotten verstand. Fußball bot dabei einen Fluchtpunkt, der ihm half, mit seiner Seelenpein fertig zu werden. Enkes Furcht davor, bei Bekanntmachung seiner Depressionskrankheit den Sport ebenso los zu werden wie seine Adoptivtochter, liefert einen wertvollen Ansatz für die Auseinandersetzung mit Tragödien dieser Art: Es muss möglich sein, seine Ängste und Schwierigkeiten mitzuteilen, sich für nichts schämen zu müssen, Bekenntnisse abliefern zu dürfen, Verständnis zu erwarten. Dieses Verlangen richtet sich an die ganze Gesellschaft. Das betrifft uns alle. Robert Enke misstraute diesem Weg. Seine Witwe Teresa beschritt ihn gestern mit immenser Kraft allein - auch, um Gerede und Spekulationen vorzubeugen. Die Wahrheit ist traurig genug. Kein Tabu um den Tod ihres Mannes, tapfer schilderte sie, wie die Enkes versucht hatten, das Unheil in den Griff zu bekommen. Zu verhindern war es am 10. November 2009 nicht mehr.
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