Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu Bundespräsident Christian Wulffs Rede in Bremen
Bielefeld (ots)
Es ist gut, wenn man weiß, was man kann. Zum Selbstbewusstsein gehört aber auch, zu wissen, was man nicht kann. In diesem Sinne ist Bundespräsident Christian Wulff gestern ein sehr selbstbewusster Auftritt gelungen. Seine Rede zum 20. Jahrestag der Deutschen Einheit war eine gute, wenn auch keine große Rede. Sie war nicht grandios, aber durch und durch klar. Sie war kein Feuerwerk der Rhetorik, enthielt aber eine Reihe kluger Gedanken. Christian Wulff ist kein brillanter Redner. Zumindest ist er bisher nicht als solcher aufgefallen. Das ist für die allermeisten politischen Ämter nicht schlimm, stellt für einen Bundespräsidenten aber ein gewisses Problem dar. Das deutsche Staatsoberhaupt hat schließlich nur die Kraft des Wortes. Dennoch hat Wulff der großen Versuchung widerstanden, zu viel zu wollen und darüber seine Authentizität zu verlieren. Er wollte erst gar nicht der bessere Joachim Gauck zu sein. Bescheidenheit ist auch eine Zier. Zudem ist zu berücksichtigen, wie sehr Wulffs Auftritt im Vorfeld politisch überhöht worden war. Zuletzt musste man fast das Gefühl bekommen, dass es an diesem 3. Oktober um Alles oder Nichts für ihn gehen könnte. Das war selbstverständlich Quatsch. Richtig ist gleichwohl, dass der ehemalige niedersächsische Ministerpräsident als Staatsoberhaupt alles andere als einen Traumstart hingelegt hatte. Nach mehreren kleinen Pannen war Wulff vor allem im Fall Sarrazin in die Kritik geraten. Am Ende stand auch noch das Bundespräsidialamt unfreiwillig im Rampenlicht. Von alldem freilich ließ sich Wulff am Tag der Einheit nichts anmerken. Und doch nahm er den Diskussionsfaden auf, als er nach einer wohltuenden Würdigung all derer, die sich um die Wiedervereinigung verdient gemacht haben, die Integrationsdebatte in den Fokus rückte. Diese Klammer war durchaus gewagt, gelang aber mit dem leicht abgewandelten Wendeslogan »Wir sind ein Volk« erstaunlich gut. Wulff stellte die aufgeheizte Diskussion der vergangenen Wochen vom Kopf auf die Füße, als er feststellte, dass Deutschland längst weiter sei, als es die Debatte vermuten lasse. Wertvoll auch seine Hinweise, dass die Verfassungstreue für alle Menschen in Deutschland über allem zu stehen habe und dass gesetzliche Regeln konsequent angewendet werden müssen - für und im Zweifelsfall auch gegen alle. Geschickt weitete er den Begriff der Integration aus, indem er die Kluft zwischen Arm und Reich, das Verhältnis zwischen Leistungsträgern und Hilfsbedürftigen, aber auch den Umgang zwischen den Generationen thematisierte. Er blieb dabei im Bild, als er forderte, den Herausforderungen der Zukunft mit dem Geist der Wendezeit und dem Selbstbewusstsein des wiedervereinigten Deutschland zu begegnen. Am Ende stand eine Rede, die ein Fundament schaffte - für das Ansehen dieses Bundespräsidenten, für eine neue Würde des Amtes und für die Gestaltung der Zukunft in unserem Land. Nicht mehr, aber auch nicht weniger
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