Westfalen-Blatt: Das Westfalen-Blatt (Bielefeld) zum Thema Atommüll:
Bielefeld (ots)
Der Castor rollt. Deutschland steht vor einem heißen Wochenende mit Protesten so stark wie in den Hochzeiten der Anti-Atomkraft-Bewegung Ende der 70er und Mitte der 90er Jahre. Die Proteste werfen mehrere Fragen auf. Gibt es ein Widerstandsrecht gegen die Kernkraft? Ist Gorleben ein geeignetes Endlager und lief die Suche nach einer Lagerstätte bürgernah ab? Zur ersten Frage: Nein, es gibt kein Widerstandsrecht gegen den Atommülltransport. Lautstarke Proteste sind erlaubt, Sabotageakte gleich welcher Art jedoch Gesetzesverstöße. Natürlich hat der unerwartete Ausstieg aus dem Ausstieg den Unmut der Atomkraftgegner so richtig entfacht, aber die Kehrtwende der Politik bedeutet keinen Persilschein für Krawallmacher. Über die Energiepolitik Deutschlands bestimmen die von uns gewählten Volksvertreter, und solange es keinen Volksentscheid über die Atompolitik gibt, sind die Entscheidungen in Berlin für uns alle bindend. Natürlich haben die Atomkraftgegner das Recht, ihren Unmut kundzutun. Die allermeisten machen dies friedlich etwa mit Mahnwachen, aber größere Kundgebungen ziehen gleichzeitig Krawallmacher magisch an, die den friedlichen Protest übertönen. Diese Autonomen haben kein Recht auf Widerstand, sondern müssen Widerstand spüren. Als Brückentechnologie wird Deutschland die Kernkraft noch länger zur Stromerzeugung brauchen - so lange, bis Energie aus Wind, Sonne und Wasser eine Alternative geworden ist. Davon sind diese Quellen aber bei einem Anteil von nur sieben Prozent an der Stromerzeugung noch weit entfernt. Weil Deutschland bereits Atommüll hat und jedes Jahr 450 Tonnen zusätzlich produziert, ist die Frage nach einem sicheren Endlager umso wichtiger. Seit 30 Jahren wird der Salzstock in Gorleben auf seine Eignung überprüft, und noch immer gibt es keine eindeutige Antwort. Die Regierungen Kohl, Schröder und Merkel fassten und fassen das Thema mit spitzen Fingern an. Statt die Suche nach Standortalternativen entschieden zu betreiben, wurde Gorleben nicht zuletzt auf Druck der Ministerpräsidenten stets als gute Wahl hingestellt. Dahinter steckt das, was Wissenschaftler Nimb-Syndrom nennen: Kein Ministerpräsident möchte das Endlager vor seiner Haustür (Nimb: Not in my backward), weil es Bürgerproteste hervorruft und Wählerstimmen kostet. Wie man seriös nach einem geeigneten Endlager sucht, macht die Schweiz vor. Dort ist das Auswahlverfahren ergebnisoffen, sechs Standorte sind in der engeren Wahl. In einem breiten Anhörungsverfahren kommen Kantone, Parteien, Naturschutzorganisationen, Akw-Gegner, die Bevölkerung und benachbarte Staaten wie Deutschland zu Wort. Das Schweizer Modell ist vorbildlich, weil es weniger politische Kungelei ermöglicht und Protesten der Bevölkerung bis hin zu Krawallen vorbeugt.
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