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Westfalen-Blatt

Westfalen-Blatt: Das Westfalen-Blatt (Bielefeld) zum Thema Kulturhauptstadtjahr:

Bielefeld (ots)

Mythen sind langlebig, viele sogar unzerstörbar - die Geburt Deutschlands aus den Wäldern Germaniens gehört dazu, das Verschwinden von 1000 Jahren aus dem diktaturgebeutelten 20. Jahrhundert hinter der Volkspädagogik der Gutmenschen ebenso. Offensichtlich muss es eine Nummer kleiner sein, damit der Mythos sich auflöst, es darf nicht gleich um die ganze Republik gehen - eine kleine, aber feine Region ist da viel flexibler. Wie das Ruhrgebiet zeigt. Immer noch ist der Landstrich »der Pott«, aber das ist kaum jemals mehr abschätzig gemeint, sondern fast schon ein Ehrentitel, denn die meisten Deutschen wissen längst, dass, wer heute nach Duisburg-Ruhrort oder nach Essen-Kray fährt, nicht gleich ein Fall für den Lungenfacharzt wird. Die Luft über den 53 Städten, die sich in einer mitreißenden Aktion zur Kulturhauptstadt, zur »Ruhr 2010« zusammenfanden, ist keine Rußglocke mehr, der Himmel strahlt dort oft blauer als in der chronisch charmanten Schwabenmetropole Stuttgart in ihrem vermaledeiten Talkessel. Insofern dürfen die Macher der »Ruhr 2010« jetzt feiern, sich selbst ebenso wie ihre zehn Millionen Gäste: Rekord - das gab's noch nie! Auch nicht in der »Beatles«-Stadt Liverpool. Fritz Pleitgen und seine Leute haben alles richtig gemacht, und die mitleidigen bis hämischen Vorabkommentare aus dem Jahr 2009, als viele geplante Veranstaltungen aus Geldnot abgesagt werden mussten, sind zu Recht ungehört verhallt. Die unglaubliche Zahl von 5500 Einzelereignissen spricht für sich, Phantasievolles wie die unerhörte Speisung der drei Millionen auf der A40, Ästhetisches wie die knallbunten Ballons über den ehemals graubraunen Zechenschächten, kleines Kreatives wie die »Pott-Lappen«, anderswo Topflappen, aber hier aus dem Drillich der Bergleute gefertigt. Jeder Bewohner des Pütts hat, statistisch gesehen, zwei Gäste empfangen. Er hat sie in den Park geführt, ins Theater und in den Konzertsaal, und nun weiß es nicht nur Nordrhein-Westfalen, sondern gleich die ganze Welt: Das Ruhrgebiet wird nicht mehr von schwarzgesichtigen Kumpels dominiert, sondern von sensiblen Zauderern (Hamlet), schwärmerischen Liebenden (Torquato Tasso) und kühl Verstoßenen (Effi Briest). Es ist nun aber nicht so, dass die »harte Arbeit« und die »Solidarität« mit Kohle und Stahl verschwunden wären. Sie haben sich, im Gegenteil, aufs Neue bewährt, nur in einem neuen Bezugsrahmen. Kultur ist schön, macht aber viel Arbeit, wusste Karl Valentin. Vor allem eines sollte die »Ruhr 2010« den auf ihren Etatsäcken hockenden Politikern klipp und klar mitgeteilt haben: Wenn in Zeiten der grenzenlosen Ökonomie die Gemeinschaft der Menschen zerfällt, dann kann sie nie der Dollar, nie der Euro und auch nicht der Yuan retten. Das kann nur die Kultur.

Pressekontakt:

Westfalen-Blatt
Nachrichtenleiter
Andreas Kolesch
Telefon: 0521 - 585261

Original-Content von: Westfalen-Blatt, übermittelt durch news aktuell

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