Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur Sicherungsverwahrung
Bielefeld (ots)
Zehn Jahre ist es her, da äußerte Bundeskanzler Gerhard Schröder, man solle Kinderschänder »wegsperren, für immer«. Und wer wollte dem nicht beipflichten? Doch zwischen der populistisch formulierten Forderung und der Wirklichkeit klaffte schon damals eine Lücke. Bereits 1977 hatte das Bundesverfassungsgericht der lebenslangen Haft ihren Schrecken genommen und entschieden, jeder Häftling müsse die Aussicht auf ein Leben in Freiheit haben - ganz gleich, was er getan hat. Seitdem gilt: Nach 15 Jahren wird bei jedem »Lebenslangen« regelmäßig geprüft, ob er freigelassen werden kann. 34 Jahre später muss das Bundesverfassungsgericht jetzt erneut mit dem Vorwurf leben, Täterrechte über den Schutz der Allgemeinheit zu stellen. Man darf den Karlsruher Spruch allerdings nicht in Bausch und Bogen kritisieren. Denn es war richtig, den seit Jahren flickschusternden Politikern zu diktieren, wie mit Sicherungsverwahrten umzugehen ist: Dass sich ihr Alltag grundsätzlich von dem eines Häftlings unterscheiden muss, dass sie ein Recht auf Therapie haben, dass ihre Sicherungsverwahrung jährlich überprüft werden muss. Denn immerhin haben diese Menschen ihre Strafe verbüßt, wenn sie in Sicherungsverwahrung kommen. Den Aufschrei von Opferverbänden haben die Verfassungsrichter mit einem anderen Aspekt ihrer Entscheidung ausgelöst: Der Zweite Senat hat die Schwelle für den Verbleib in der Sicherungsverwahrung deutlich angehoben. Er droht Tätern jetzt nur noch, wenn eine »hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- und Sexualstraftaten« besteht und der Täter an einer psychischen Störung leidet. Damit fallen jetzt psychisch gesunde Täter, aber auch Berufsverbrecher, die keine Sextäter oder Mörder sind, durch das Raster. Eine überraschende Entscheidung der Verfassungsrichter, denn noch 2006 hatten sie es abgelehnt, den Fall eines Serieneinbrechers zu überprüfen, der seine Sicherungsverwahrung für verfassungswidrig hielt. Es hat den Eindruck, als scheuten die Karlsruher Richter die Konfrontation mit dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, der seit Jahren das deutsche System moniert. Ein Indiz dafür ist, dass das Bundesverfassungsgericht noch 2004 den Standpunkt vertrat, die nachträgliche Verlängerung der Sicherungsverwahrung sei zulässig. Davon wollen die Richter heute, nach entsprechender Kritik aus Straßburg, nichts mehr wissen. Im Interesse Europas mag es sinnvoll sein, Vorstellungen der Straßburger Menschenrechtsschützer zu übernehmen und deutsche Gesetze anzugleichen. Es wäre aber fatal, wenn sich die Verfassungsrichter dabei immer weiter von der Mehrheit der Menschen entfernen, deren Grundrechte sie schützen sollen. Zu diesen Rechten gehört eben auch das Recht auf körperliche Unversehrtheit - und damit der Schutz vor Straftätern. Und der ist gestern erheblich geschwächt worden.
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