Westfalen-Blatt: Das Westfalen-Blatt (Bielefeld) zum Thema Strauss-Kahn:
Bielefeld (ots)
Dominique Strauss-Kahn hat sich selbst entmachtet. Egal, ob der Chef des Internationalen Währungsfonds in New York »einvernehmlichen« Sex hatte oder ihn mit Gewalt erzwang, seine Karriere ist beendet. Der IWF wird den Skandal fast unbeschadet überstehen, die französischen Sozialisten sind jedoch schockiert. Strauss-Kahn war ihr aussichtsreichster Kandidat im kommenden Präsidentschaftswahlkampf. Denn Nicolas Sarkozy ist unbeliebt: Sein eitler, arroganter und autoritärer Stil kommt nicht mehr an. Frankreich sucht den Wechsel. Doch wer soll Präsident werden? Die rechtsradikale Marine le Pen gewinnt zwar an Boden, mehrheitsfähig ist sie kaum. Bleiben die Kandidaten der Sozialistischen Partei: Während Strauss-Kahn mit üppigem Lebensstil und peinlichen Sex-Affären das Bild des typischen Sozialisten verfremdet hat, schlägt nun die Stunde eines gemäßigten und »echten« Sozialisten. Volksnah, bescheiden, maßvoll links und beliebt soll er sein. Wer käme in Frage? Viel hängt von der Geschlossenheit der französischen Sozialisten ab. Doch Parteichefin Martine Aubry, Ex-Präsidentschaftskandidatin Ségolène Royal und der Ex-Sozialisiten-Vorsitzende François Hollande liefern sich innerparteiliche Grabenkämpfe. Strauss-Kahn galt als konsensfähige Alternative, doch diese Option ist nun entfallen. Sollten sich die Sozialisten auf einen starken Kandidaten einigen, haben sie weiterhin eine gute Chance gegen Sarkozy - trotz der Affäre um Strauss-Kahn. François Hollande gilt als aussichtsreichster Kandidat. Er ist erfahren, intelligent und gemäßigt und gehört nicht zur Kaste der Reichen und Schönen. Mehr als 50 Prozent der Links-Wähler und 40 Prozent der Parteimitglieder der Sozialisten würden heute für Hollande votieren. Er könnte zum Nutznießer der Strauss-Kahn-Affäre werden. Vorausgesetzt, die Partei steht geschlossen hinter ihm. Darauf kommt es jetzt an. Hollande hat die Kaderschmiede ENA besucht, sie als Bester seines Jahrgangs absolviert und ist hochmotiviert, Nikolas Sarkozy zu schlagen. Er pflegt ein volksnahes Auftreten und gibt sich als Mann der Mitte. Pikant ist, dass er einst der Ehemann seiner politischen Gegnerin Ségolène Royal war, die ihn wegen seiner Sex-Affären verlassen hat. Doch Franzosen fragen nicht nach dem Liebesleben ihrer Politiker - zumindest nicht, solange sie keine Vergewaltiger sind. Im Gegensatz zu Royal gilt Hollande als intellektuell tiefgründig und politisch anspruchsvoll. Das kommt gut an. Viele Franzosen wünschen sich einen seriösen und maßvollen Präsidenten. Auch der deutsche Nachbar könnte mit François Hollande gut leben. Er ist ein überzeugter Europäer, hat für die Ratifizierung der europäischen Verfassung gekämpft und gilt außenpolitisch als zuverlässig. Mit Hollande könnte sich die Strauss-Kahn-Affäre noch zum Guten wenden - für Frankreich und für Europa.
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