Westfalen-Blatt: Das Westfalen-Blatt (Bielefeld) zum Besuch der Queen in Irland:
Bielefeld (ots)
»War dieser Kampf es wert?«, fragt der irische Schriftsteller James Joyce in seinem Roman »Ulysses«. Er meinte den blutigen Unabhängigkeitskrieg der Iren gegen die Briten, die Irland Jahrhunderte lang besetzt, unterdrückt und geplündert hatten. Bis heute leiden die Iren unter dem britischen Trauma. Auch der Terror in Nordirland bleibt eine Wunde, die nur langsam heilt. Nun sucht Königin Elizabeth die Versöhnung. Demütig, würdevoll und fast andächtig geht die britische Monarchin auf die Iren zu. Sie verbeugt sich, spricht gälische Worte, betritt irische Gedenkstätten und tut alles, um Aussöhnung und Vergebung zu bewirken. Das ist vorbildlich. Fast ließen sich ihre Ehrbezeugungen mit Willy Brandts Kniefall in Warschau vergleichen: Die britische Schuld am irischen Leid ähnelt der deutschen Schuld am polnischen Trauma. Königin Elizabeth hat bewiesen, dass britische Monarchen mehr können als Hochzeiten ausrichten oder Scheidungen zu verkünden. Der Auftritt der Königin in Irland ist ein ehrenvoller Höhepunkt ihrer Amtszeit. Doch hier geht es nicht nur um Vergangenheit und Versöhnung: Irland und Großbritannien sind EU-Mitglieder, deren Beziehung institutionell verankert ist. Heute geht es auch um Finanzkrise, Euro, Schuldenkrise und die Zukunft der Europäischen Union. Denn Irland ist ein Sorgenkind Europas: Das Land ist hoch verschuldet und braucht die Hilfe der EU und des Internationalen Währungsfonds. Die Auflagen der Gläubiger schmerzen, und viele Iren schimpfen auf ein Finanzpaket, das ihnen hohe Auflagen, Zinsen und Einschränkungen aufzwingt. Europa wird zum Sündenbock der eigenen wirtschaftlichen Probleme. Es ist richtig und vernünftig, Irland finanziell zu helfen. Unvernünftig ist es jedoch, den Europäern die Schuld für die irischen Schwächen zuzuschieben. Nach der Versöhnung mit Großbritannien wäre es ein Fehler, ein neues europäisches Feindbild aufzubauen und andere für eigenes Versagen zu schelten. Denn die irische Krise ist hausgemacht. Irland muss jetzt den Gürtel enger schnallen, die Fehler korrigieren und versuchen, sich mit Hilfe der Europäer zu sanieren. Alles andere wäre ein fatales Ablenkungsmanöver. Zugleich darf Europa Irland nicht im Stich lassen. Die Mitgliedschaft in der EU und Euro-Zone verpflichtet die wirtschaftlich starken Länder zur Solidarität. Denn Europa ist mehr als ein gemeinsamer Markt: Es ist auch die Idee einer geistigen, politischen und kulturellen Einheit - eine Schicksalsgemeinschaft, deren Wohl und Wehe vom Verantwortungsbewusstsein seiner Mitglieder abhängt. Der Kampf um die europäische Gemeinschaft ist es wert, könnte man James Joyce kolportieren. Königin Elizabeth hat dies bei ihrem historischen Besuch in Irland beispielhaft gezeigt. Sie setzt die richtigen Akzente in einer Krise, die anti-europäische Propaganda nicht braucht.
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