Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Thema "Duden heute"
Bielefeld (ots)
Wie schreibt man ein deutsches Wort? Wie konstruiert man einen deutschen Satz? Als Konrad Duden seine Richtlinien zu Orthographie und Grammatik veröffentlichte, gab er einer unsicher nach sprachlicher Einheit tastenden Nation die Richtung vor, die 1901 in ein verbindliches Regelwerk gegossen wurde. Jahrhundertelang hatte niemand ein sprachliches Problem gesehen, schon deshalb nicht, weil ohnehin nur eine kleine Schicht des Schreibens mächtig war. Heute mailt jeder jedem, und der Sprachwandel nimmt gewaltig Fahrt auf: die indogermanischen Sprachen wandeln sich vom »synthetischen« zum »analytischen« Sprachtyp, das heißt, die grammatische Bedeutung wird immer seltener in der Wortendung sichtbar, sondern in Hilfswörtern - »das Haus meines Vaters« wird »das Haus von meinem Vater«. Wo aber weltweit kommuniziert wird, da importiert man auch den regionalen Ausdruck ins Geschriebene. Chat & Co. tun ein Übriges, um den Mix aus Mündlichkeit und Schriftlichkeit zu verbreiten. In diesem entspannten Klima, in dem man umgangssprachlich besser rüber kommt, gedeiht kein Standard. Destandardisierung allenthalben - exakt das Gegenteil von dem, was Konrad Duden wollte. Wissenschaftler weisen übrigens auf den Einfluss der Migranten hin, die das ihnen fremde Deutsch vereinfachen. Was wiederum deutsche Jugendliche cool finden: »Gehste heute Disko?« ist deutsch, nicht türkisch. Die Bewertung dieser Vorgänge ist nicht Aufgabe der Wissenschaftler, man sucht bei ihnen vergeblich nach Rat für »gutes« und für »schlechtes« Deutsch. Dem Privatmann hingegen bleibt ein Urteil unbenommen. Damit könnte der Bürger dem Umbau seiner Muttersprache entspannt entgegensehen: Es hätt noch immer jotjejange (wofür es allerdings harsche Gegenbeispiele gibt, nicht nur in der Geschichte Kölns). Tatsächlich aber argumentieren vor allem die lautstärksten Wissenschaftler keineswegs wertfrei. Im Gegenteil: Sie drängeln mit der Behauptung ins Rampenlicht, der beschleunigte Sprachwandel sei zu begrüßen. Sie werfen den Verteidigern der Hochsprache vor, sie hielten an Regeln fest, weil sie bildungsferne Schichten diskriminieren wollten. Dudens Jahrhundert war dem Projekt der Hochsprache verpflichtet. Das war durchaus emanzipatorisch gemeint, denn es sollten alle Bürger, auch die Einwanderer, barrierefrei kommunizieren können. Das Projekt allerdings setzte den individuellen, zutiefst bürgerlichen Willen voraus, sich Bildung anzueignen. Diese Zeiten sind vorbei. Die Masse verabschiedet sich aus allen Bildungsangeboten. Die Gründe sind vielfältig, aber eines dürfte klar sein: Das Phänomen schlägt sich in der Sprache nieder. »Rudelgucken« für »Public Viewing« für »Kino unter freiem Himmel« steht jetzt im Duden. Der Duden beobachtet nur noch. Sein Projekt ist längst tot.
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