Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur Euro-Krise
Bielefeld (ots)
FREITAG: Griechenland schludert beim Sparen und stößt die Troika der Kontrolleure vor den Kopf. Verärgert reisen die Prüfer unverrichteter Dinge wieder ab. SAMSTAG: Weil Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi den vollmundig angekündigten Sanierungsplan Stück um Stück in seine Einzelteile zerlegt, kocht Jean-Claude Trichet vor Wut. Der EZB-Präsident fordert mehr Disziplin und wirkt doch machtlos. SONNTAG: IWF-Chefin Christine Lagarde warnt vor einer Abwärtsspirale. Weltbankpräsident Robert Zoellick befürchtet Unheil für die Weltwirtschaft. MONTAG: Die Börse geht schon wieder auf Talfahrt. Der Dax erreicht ein Zweijahrestief. Josef Ackermann schlägt Alarm: Der Chef der Deutschen Bank sieht eine ähnliche Situation wie vor der Finanzkrise 2008. Unter schlechteren Bedingungen hätten die Beratungen des Bundestags über die Ausweitung des Euro-Rettungsschirms nicht beginnen können. Nach Ende der Sommerpause bleiben vier Wochen Zeit bis zur Abstimmung. Morgen urteilt das Verfassungsgericht. Doch auch so sind die Probleme komplex genug und die Unsicherheit groß. Nur wenige blicken durch. Viele Abgeordnete fürchten, den Fehler ihres politischen Lebens zu machen. Damit geht es Volksvertretern wie dem Volk, das sie vertreten. Zwar wollen die meisten Deutschen noch immer mehr Europa, aber nicht von ihrem Geld. Viele wissen, wie sehr gerade uns Europa nutzt. Doch größer ist die Furcht, dass die Euro-Krise unserem Land den schlimmsten Schaden erst noch zufügen wird. Die Stimmungslage schließt Irrationalitäten und Widersprüchlichkeiten ausdrücklich mit ein. Verstand und Herz gehen nicht mehr Hand in Hand. Ein Gefühl der Zerrissenheit macht sich breit. Weil das Ganze ins Wanken zu geraten droht, wird die Sorge um die eigenen Ersparnisse, die eigene Leistung und den eigenen Wohlstand immer größer. Ist Rückzug nicht die bessere Lösung anstelle der immer rasanteren Flucht nach vorn? Das ist die Frage, die sich den Abgeordneten stellt. Doch egal, wie ihre Antwort ausfällt: Sie wird erneut viel Geld kosten. Sehr viel Geld. Die Eurorettungsskeptiker betonen oft, dass Griechenland »ein Fass ohne Boden« sei. Das mag stimmen. Dennoch kann es von großer Bedeutung sein, wann aus dieser Einsicht ein Eingeständnis wird. Längst geht es nicht mehr nur um Griechenland, sondern um Europa. Ein scharfer Schuldenschnitt, eine Insolvenz oder gar ein EU-Austritt Griechenlands sollte also besser erst dann erfolgen, wenn eine Kettenreaktion mit einiger Sicherheit auszuschließen ist. Wer aber jetzt die Hilfe versagt, muss in Kauf nehmen, dass er gerade diese Garantie nicht geben kann. Lehman Brothers lässt grüßen. Ein »Nein« macht die Euro-Rettung eben nicht zwangsläufig billiger, erhöht die Risiken für einen Flächenbrand aber gewaltig. Für ein Fallenlassen Griechenlands ist es deshalb zu früh. Noch ist unsere Zerrissenheit das kleinere Übel. Wir müssen uns darauf einstellen, dass sie weiter anhalten wird.
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